Heft 
(2021) 111
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14 Fontane Blätter 111 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes völligen Erblindung führte, stark beeinträchtigt. Er entwickelte eine Hand­tastsprache, mit deren Hilfe er sich verständigen konnte. 9 Trotz körperli­cher Behinderungen machte sich Lorm in der Literaturszene auch persön­lich geltend. Er war außerordentlich kommunikativ und sehr gut vernetzt. Seine Verbindungen reichten von Adalbert Stifter, Franz Grillparzer, über Berthold Auerbach(der 1849 Lorms Schwester Nina Landesmann heirate­te), Karl Gutzkow, Friedrich Hebbel bis zu Marie von Ebner-Eschenbach und ihrem Freundeskreis. Gute Beziehungen pflegte Lorm auch zu Wilhelm Wolfsohn, der ihn zu Beginn der 1850er Jahre mit Fontanes Gedichten be­kannt gemacht haben könnte. Sicher ist jedenfalls, dass Lorm Fontanes Ge­dichte schon lange kannte, von den Versen entzückt war und sie auch in seinem privaten Zirkel empfahl. So schreibt er am 26. November 1875 an Ida von Fleischl-Marxow: Gestern Abend hatte ich Gelegenheit, eine Stunde in Theodor Fontane´s Gedichten zu lesen, worunter ganz herrliche Stücke sind. In der Ballade ist nichts so Ergreifendes, Echtes seit Bürger geschrieben worden. Aber auch andere Sachen sind darin von wunderbarem Reiz. Lesen Sie doch gewiß die Sammlung. Sie hat nach 20(!) Jahren mühsam eine 2. Auflage erlebt. 10 Zwei Jahre später sprach sich Lorm auch öffentlich über den Lyriker Fontane aus. Den Anlass bot eine Neuauflage von Georg Scherers Lyrikan­thologie Deutscher Dichterwald(Stuttgart: Hallberger, 1874), in der sich vier Gedichte Fontanes finden. 11 Lorm hatte in der ersten Folge seines Literari­schen Tagebuchs auf das krasse Missverhältnis von massenhaft verbreiteten Anthologien zum verschwindend geringen Absatz lyrischer Originalwerke hingewiesen. Die Dominanz goldschnittverzierter Blumenlesen auf dem Buchmarkt gereiche dem Dichter zum Schaden,»der für seine Original­schöpfungen vergebens Absatz erwartet, während er sie in den Anthologi­en, zu Fragmenten zerrissen, Auflagen nach Auflagen erleben sah, die ihm nichts einbrachten«. 12 Scherers in siebenter Auflage erscheinendes Sammel­werk nimmt er jedoch ausdrücklich von seiner Kritik aus und empfiehlt es als»das nach Gestalt und Gehalt, Anordnung und Ausschmückung gleich prächtige Buch unter hunderten und aberhunderten ähnlicher«,»die bloß eine zufällige Zusammenwürfelung sind, als das würdigste«. Und damit lenkt er in der zweiten Folge seiner Betrachtungen den Blick auf Theodor Fontane. Es überrascht etwas, dass Lorm 1877 Fontane einen»Berühmten« nennt und im Gegensatz dazu einen»Ungewürdigten«. Fontane gehörte bekannt­lich keineswegs zur literarischen Prominenz, schon gar nicht in Österreich. Seine Bücher verkauften sich mäßig und wurden in durchschnittlichem Maße besprochen. Dementsprechend mangelte es in den 1870er Jahren noch an umfangreicheren Würdigungen. Das öffentliche Interesse an Fontane­war gering. Einzig der Lyriker Fontane(der Romancier war noch