Jhy-Wey, Shieh: Liebe, Ehe, Hausstand. Die sprachliche und bildliche Darstellung des „Frauenzimmers im Herrenhaus" in Fontanes Gesellschaftsroman „Effi Briest". - Frankfurt/M.: Peter Lang 1987. 340 S.
(Rez.: Joachim Biener, Leipzig)
Helene Herrmann konstatiert in ihrem Aufsatz über „Ibsens Alterskunst", der 1906 in der „Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft" erschien, in der Entwicklung des norwegischen Dramatikers eine Zunahme des „Dialoges zweiten Grades" 1 . Damit ist die wachsende Durchdringung der dramatischen Gespräche und Dialoge mit tieferen, symbolischen Elementen gemeint. Eine ähnliche Entwicklung vollzieht sich in der deutschen Prosa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, seit Theodor Storms „Immensee" und Wilhelm Raabes „Chronik der Sperlingsgasse". Bei Fontane setzt diese Entwicklung erst im Spätwerk ein, mit „L'Adultera" und „Schach von Wuthenow", dann aber mit besonderer Intensität, mit ideeller Klarheit und erzählerischer Einprägsamkeit. Fontane sprach von den „hundert" bzw. „tausend" Finessen" 2 , die er z. B. in „Irrungen, Wirrungen" hineingearbeitet hatte.
Die Leistung der neueren und neuesten Fontane-Forschung besteht in hohem Maße darin, die Werkstrukturen in ihrer feinsinnigen Vertiefung und Verflochtenheit zu erschließen. Beispielhaft dafür ist die Studie von Gunter H. Hertling über die „erste Seite" von „Irrungen, Wirrungen" als „Schlüssel zum Werk", die in Heft 45 der FB besprochen wurde. Auf diesem Wege schreitet Jhy-Wey Shieh fort, der zunächst an Universitäten seiner Heimat Taiwan und dann an der Ruhr-Universität Bochum studierte. In seiner von Joachim Schrimpf betreuten Dissertation konzentriert er sich auf das „Wechselspiel" von „sprachlichen" und „bildlichen", „wörtlichen" und „metaphorischen", „eigentlichen" und „uneigentlichen" Elementen, auf die „Andeutungstechnik" als „konstruktives Erzählelement" (S. 21 f.) Besondere Aufmerksamkeit widmet er dem bisher vernachlässigten Motiv des Hauses, speziell des Kessiner „Spukhauses". Aber auch sonst seien Haus und Wohnung untrennbar mit den Stationen von Effis Entwicklung verbunden.
Das erste Kapitel handelt unter der Überschrift „Hochzeit kommt vor dem Fall" von Effi vor der Ehe, die von Shieh als typische Vernunftehe interpretiert wird. In Hohen-Cr emmen fühle sich Effi „sowohl sprachlich als auch körperlich (d. h. in diesem Fall existenziell) ... richtig ,zu Hause" (S. 69). Neu ist m. E. die Zusammensicht von „körperlicher Flexibilität und geistiger Abschweifung" (S. 66 f.). Die Vorliebe für den Gebrauch von Wörtern wie „übrigens" und „einfallen" und der damit verbundene assoziative Redestil seien Ausdruck von Sprunghaftigkeit und Ungezwungenheit. Nach der Verlobung deute sich bei Effi in Gestalt der Verwendung des Indefinitpronomens „man“ („Wenn man zwei Stunden verlobt ist, ist man immer ganz glücklich" usw.) „der Gegensatz von dem .natürlichen Menschen' als einem sich frei bewegenden Individuum und dem ,Man' als Vertreter der vorschreibenden, dirigierenden und dominierenden Gesellschaft" (S. 86) an, der sich „wie ein roter Faden" (S. 87) durch den ganzen Roman ziehe. Martin Heideggers Beschreibung der Diktatur des anonymen „Man“ in der modernen Gesellschaft, die Ernst Fischer um 1950 gültig historisierte 3 , hat die sprachliche Sensibilität des Verfassers in dieser Hinsicht eingestandenermaßen geschärft.
Das folgende wichtige zweite Kapitel trägt die Überschrift „My home is my castle". Es verweist auf die menschliche Beziehung von Mensch und Haus in