Heft 
(1989) 48
Seite
119
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Jhy-Wey, Shieh: Liebe, Ehe, Hausstand. Die sprachliche und bildliche Darstellung desFrauenzimmers im Herrenhaus" in Fontanes Gesell­schaftsromanEffi Briest". - Frankfurt/M.: Peter Lang 1987. 340 S.

(Rez.: Joachim Biener, Leipzig)

Helene Herrmann konstatiert in ihrem Aufsatz überIbsens Alterskunst", der 1906 in derZeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft" erschien, in der Entwicklung des norwegischen Dramatikers eine Zunahme desDialoges zweiten Grades" 1 . Damit ist die wachsende Durchdringung der dramatischen Gespräche und Dialoge mit tieferen, symbolischen Elementen gemeint. Eine ähn­liche Entwicklung vollzieht sich in der deutschen Prosa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, seit Theodor StormsImmensee" und Wilhelm RaabesChronik der Sperlingsgasse". Bei Fontane setzt diese Entwicklung erst im Spätwerk ein, mitL'Adultera" undSchach von Wuthenow", dann aber mit besonderer Inten­sität, mit ideeller Klarheit und erzählerischer Einprägsamkeit. Fontane sprach von denhundert" bzw.tausend" Finessen" 2 , die er z. B. inIrrungen, Wirrun­gen" hineingearbeitet hatte.

Die Leistung der neueren und neuesten Fontane-Forschung besteht in hohem Maße darin, die Werkstrukturen in ihrer feinsinnigen Vertiefung und Ver­flochtenheit zu erschließen. Beispielhaft dafür ist die Studie von Gunter H. Hertling über dieerste Seite" vonIrrungen, Wirrungen" alsSchlüssel zum Werk", die in Heft 45 der FB besprochen wurde. Auf diesem Wege schreitet Jhy-Wey Shieh fort, der zunächst an Universitäten seiner Heimat Taiwan und dann an der Ruhr-Universität Bochum studierte. In seiner von Joachim Schrimpf betreuten Dissertation konzentriert er sich auf dasWechselspiel" vonsprach­lichen" undbildlichen",wörtlichen" undmetaphorischen",eigentlichen" und uneigentlichen" Elementen, auf dieAndeutungstechnik" alskonstruktives Erzählelement" (S. 21 f.) Besondere Aufmerksamkeit widmet er dem bisher ver­nachlässigten Motiv des Hauses, speziell des KessinerSpukhauses". Aber auch sonst seien Haus und Wohnung untrennbar mit den Stationen von Effis Entwick­lung verbunden.

Das erste Kapitel handelt unter der ÜberschriftHochzeit kommt vor dem Fall" von Effi vor der Ehe, die von Shieh als typische Vernunftehe interpretiert wird. In Hohen-Cr emmen fühle sich Effisowohl sprachlich als auch körperlich (d. h. in diesem Fall existenziell) ... richtig ,zu Hause" (S. 69). Neu ist m. E. die Zu­sammensicht vonkörperlicher Flexibilität und geistiger Abschweifung" (S. 66 f.). Die Vorliebe für den Gebrauch von Wörtern wieübrigens" undeinfallen" und der damit verbundene assoziative Redestil seien Ausdruck von Sprunghaftigkeit und Ungezwungenheit. Nach der Verlobung deute sich bei Effi in Gestalt der Verwendung des Indefinitpronomensman (Wenn man zwei Stunden verlobt ist, ist man immer ganz glücklich" usw.)der Gegensatz von dem .natürlichen Menschen' als einem sich frei bewegenden Individuum und dem ,Man' als Ver­treter der vorschreibenden, dirigierenden und dominierenden Gesellschaft" (S. 86) an, der sichwie ein roter Faden" (S. 87) durch den ganzen Roman ziehe. Martin Heideggers Beschreibung der Diktatur des anonymenMan in der modernen Gesellschaft, die Ernst Fischer um 1950 gültig historisierte 3 , hat die sprachliche Sensibilität des Verfassers in dieser Hinsicht eingestandenermaßen geschärft.

Das folgende wichtige zweite Kapitel trägt die ÜberschriftMy home is my castle". Es verweist auf die menschliche Beziehung von Mensch und Haus in