Heft 
(2021) 111
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18 Fontane Blätter 111 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes IV. Theodor Fontane hat die Wiener Presse geschätzt und ihr, was eine formge­wandte Eleganz des Feuilletons angeht, gegenüber der Berliner sogar den Vorzug gegeben. In einem Brief an den österreichischen Germanisten und Journalisten Moritz Necker erklärte er 1894:»Im Kern ist unsre Berliner Presse nicht schlecht, vielleicht besser als irgend eine andre, weil sie noch ein Stück Selbständigkeit hat, aber die Form-Ueberlegenheit der Wiener Presse ist unbestreitbar und ich möchte beinah annehmen, daß sich darin Speidels Einfluß und Schule zeigt. Etwas auch wohl Spitzer.« 23 Umso größer dürfte sein Bedauern darüber ausgefallen sein, dass für ihn als Berliner Autor Wien ein Gebiet blieb,»bis wohin wir Norddeutsche nur ausnahms­weise vordringen«. 24 Der 1866 in der Neuen Freien Presse(von Berlin aus!) so begeistert ver­klärte ›romantische Dichter‹ Fontane, auch der von Lorm 1877 gepriesene Lyriker haben in Österreich ebenso wenig Eindruck hinterlassen, wie der »Wanderer«. Nur sehr zögerlich und reserviert wurden in Österreich seine gesellschaftskritischen Romane wahrgenommen. Und erst in den 1890er Jahren hat»das zeitunglesende Jahrhundert«(Wassermann) auch in Öster­reich den Namen Fontane vermehrt registriert. Moritz Necker, der selbst mehrere Bücher Fontanes rezensiert hat, vermutet sieben Jahre nach des­sen Tod, dass erst der Autobiograph Fontane ein Publikum in Österreich erobern konnte: Der Wanderhistoriker der Mark Brandenburg war nicht bloß als Jour­nalist, sondern auch mit seinen spezifisch norddeutschen, ja so recht ei­gentlich preußischen Romanen und Sittenbildern auf das Publikum sei­ner engeren Heimat beschränkt, dessen Seele er freilich auch wie wenig andere verstand. Den Weg nach dem deutschen Süden und Oesterreich hat Fontane mit seinen autobiographischen Schriften gefunden, und es erscheint nicht undenkbar, daß diese Bücher(»Meine Kinderjahre«, »Kriegsgefangen«,»Von Zwanzig bis Dreißig«) seine Romane zum Teil überleben werden. 25 So Neckers Fazit und Prognose aus dem Jahr 1905. Was blieb von Fontane in Österreich nach seinem Tod? Diese Frage be­antwortete 1919 der langjährige Feuilleton-Chef der Neuen Freien Presse, der mit Wassermann, Schnitzler, Stefan Zweig befreundete österreichische Schriftsteller und Kritiker Raoul Auernheimer(1876–1948) so:»Nicht der Romantiker, sondern der Romandichter Fontane hat den Wandel der Zeiten überlebt und er hat ihn überlebt, gerade weil er unromantisch, zeitgebun­den und wie man zu Fontanes Zeiten sagte ›realistisch‹ ist.« 26 Ein Diktum, das weitere hundert Jahre später nichts an Aktualität und Gültigkeit eingebüßt hat.