und tragisch. Die Elementargeister sind als solche uns unsympathisch, die Nixe bleibt uns gleichgültig, von dem Augenblick an aber wo die Durchschnittsnixe zur exzeptionellen Melusine wird, wo sie sich einreihen möchte in's Schön- Menschliche und nicht kann, von diesem Augenblick rührt sie uns." 4 Das hier beschriebene Phänomen der Gefühlsunfähigkeit und des tragischen Versuchs ihrer Überwindung stellt für Fontane einen wesentlichen Bedeutungsaspekt des Mythologems dar. Allerdings verlagert sich sein Interesse später immer mehr auf das aus dem elementaren „Jenseits-von-Gut-und-Böse-Sein" 5 seiner Frauengestalten erwachsende Katastrophale, und folgerichtig ist am Ende die Menschenwelt für die Gräfin Melusine überhaupt nur beim Verzicht auf Begehren erträglich und veränderbar. 6 Die existenziellen Implikationen eines solchen Motivwandels sind unverkennbar: sie tragen die Signatur der Entsagung, die nicht zuletzt durch die Einsicht in die „wetterwendische Schwäche" des menschlichen Herzens motiviert ist. Fontane begreift „Distanz und Gefühlsunfähigkeit" 7 als persönliche Lebensproblematik 8 und zugleich als Voraussetzung seines künstlerischen Schaffens Was er für Oceane noch defizitär formuliert: „Alles was geschieht wird ihr zum Bild" 9 , findet sich im Gedicht als Bekenntnis zur Vita contemplativa: „Nun denk' ich selber so, genau wie du, / Nur hören, sehen aber nicht mehr taten: Das Bild des Lebens ist das Leben mir" 10 . Darüber hinaus aber — und das ist mit Gefühlsunfähigkeit sehr wohl vereinbar — empfindet Fontane lebenslang die Anziehungskraft der „ewig sieggewissen Macht" 11 des Elementaren, die landläufig unter der Flagge des Eros segelt. Für dessen „infernale" 12 Tiefendimension besaß er ein feines Sensorium. Nach einschlägigen Jugenderfahrungen allerdings verlegte er seine diesbezüglichen Aktivitäten auf das Feld des produktiven Tagtraums, in die Welt seiner Bilder, in die Maschen seines Textes. Fontane, der Bürger, der in unbewußter (?) Anzüglichkeit 1882 erklärte: „Die Feder ist ohnehin längst ,das bessere Theil' geworden" 13 , vermied auf diese Weise die „natürlichen Konsequenzen" 14 der Lebenspraxis, die z. B. der stets dem „Zauber des Evatums" nachgebende, als Dichter gescheiterte Freund Lepel zu tragen hatte. Diesen Zusammenhang beschreibt Paulsen von Lepel her gesehen wie folgt: „So drängt sich uns auch die Vermutung auf, daß Lepels Versagen als Dichter — von seiner dafür benötigten Begabung ganz abgesehen — möglicherweise auch daran gelegen hat, daß er zu leben suchte, was sich, einmal erlebt, der kreativen Bewältigung vielleicht entzieht." (S. 313 f.)
Aus verschiedenen Gründen ist in den oben aufgeführten Studien weitgehend darauf verzichtet worden, die Funktion des Melusinemythologems aus Fontanes Biographie heraus zu erklären. In den großen Monographien Müller- Seidels und Reuters bleibt der gesamte Problemkreis merkwürdig unterbelichtet, ja Reuters Auslassungen stellen sogar einen Rückschritt gegenüber Petersen und Hofmiller dar. Reuter erklärte Fontanes Oceanefragment zum „bedenklichsten Zeugnis" seiner Affinität zu „Stoff und Motiv des Wassers" und ging so weit, von „pathologisch-schillernder Psychographie" zu sprechen. 15 Hier greift zeitbedingt ein Irrationalismusverdacht Platz, der seinerseits droht, in Irrationalismus umzuschlagen, da er große Bereiche des Menschlichen tabuisiert, ausgrenzt und rationalen Deutungsversuchen entzieht. Dieser Ansatz zog einen Realismusbegriff nach sich, der die erklärende Kraft im Mythos gestaltgewordener Menschheitserfahrung kaum in den Blick bekam. Spätestens seit Fühmanns bahnbrechendem Aufsatz von 1974 16 ist die künstliche Antithese von Mythos und Realismus jedoch auch in der DDR-Literaturwissenschaft überwunden. Was für Thomas Mann, der ja nicht zufällig seine Formel von „Mythos und
122