Heft 
(1989) 48
Seite
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Kritik" auf Fontane anwandte, produktive Erkenntnis war, die partielle Bedeu­tungsidentität der Zentralkategorie des Realismus mit demMythischen"; Denn das Typische ist ja das Mythische schon, insofern esUr-Norm und Ur-Form des Lebens, .. ," 17 , hat die kognitive Psychologie längst bestätigt 18 . In diesem Sinne ist sich Fontane der Einbindung seines Wahrnehmens, Denkens und Schreibens 10 in Traditionszusammenhänge, die weit über das Literarische hinausgingen, wohl bewußt. Er besaß einen geschärften Blick für das Invariante, Archetypische in den wechselnden geschichtlichen Erscheinungsformen menschlichen Sozialverhal­tens. Das führte dazu, daß er seine Gestaltenin der Spur gehen", sie mythische Lebenswege nachleben, vorgeprägte Bilder nachstellen ließ. Allerdings nicht, ohne diese Bilder kritisch zu demontieren, wenn sie sich als falsche Bilder heraus­stellten, die im Fontaneschen Hier und Heute ihren menschlichen Sinn verloren hatten.

Stets ist die individuelle Betroffenheit letzter Grund der thematischen Konsistenz des Fontaneschen Werkes. Biographisch-psychologisch-poetologische Analyse scheint also geboten, will man auf jenenarchimedischen Punkt" gelangen,wo das Leben in Kunst umschlägt" 20 . Trotz der zum Teil außerordentlich produktiven neueren Vorarbeiten von Bange, Fleig, Schuster und Anderson 31 fehlt bisher noch eine zusammenfassende genetische Darstellung des Werks von eben diesem Punkt aus. Paulsen, der sich im Vorwort zurliteraturpsychologischen Methode" (S. VIII) bekennt, signalisiert im Titel eine derartige Arbeit, löst die geweckten Erwar­tungen aber nur zum Teil ein.

Die Untersuchung der Freundschaft Fontanes zu Bernhard von Lepel, die Paulsen gewissermaßen zum Kristallisationskeim seiner Darstellung macht, war zwar ein Desiderat der Forschung, gehört auch unbedingt zur Sache, es läßt sich aber aus ihr m. E. kaum ein tragfähiges Konzept für das angezeigte Thema entwickeln. Paulsen beschreibt den empfindlichen Organismus der wohl engsten Freundschafts­beziehung Fontanes, indem er vor allem die Person B. v. Lepels einer genaueren Betrachtung unterzieht, als das bisherige Biographen Fontanes für nötig hielten. Die dabei gewonnenen Erkenntnise sind aufschlußreich und ihrer geschlossenen Präsentation wegen auch für passionierte Briefwechselleser von Bedeutung. Die Lepel betreffenden Passagen des Buches (explizit immerhin fünf von neun Kapi­teln) lesen sich über weite Strecken spannend und bringen denjenigen, welche Fontanes Leben bisher überwiegend aus Biographien kannten, durchaus eine Er­weiterung ihres Wissens. Ähnliches kann man von Paulsens Ausführungen zu Fontanes Ehe, zu der ihr vorausgehenden Verlobungszeit, zum Minna-Erlebnis und zur Kindheit feststellen. Generell liegt imFamiliären" undPrivaten" die eigentliche Stärke des Buches. Überzeugend arbeitet Paulsen die Rolle Lepels bei der Sozialisation des jungen Apothekergehilfen heraus, wobei unter Sozialisation hier auch die Einübung von Regeln des besseren gesellschaftlichen Lebens der Zeit zu verstehen ist. Paulsen weist auf Lepels menschliche Qualitäten hin und beleuchtet die abschreckende Wirkung des negativen Vorbilds, das Fontane in bestimmter Hinsicht mit Lepel stets vor Augen hatte.Ihm mochte aufgegangen sein", heißt es vom alten Fontane,daß das, was er vor Jahren noch als Lepels besondere .Schwäche' bezeichnet hatte, die sich in seiner Haltlosigkeit der Frau gegenüber für ihn so unangemessen, um nicht zu sagen: abstoßend geäußert hatte,- im Grunde auch die seine war, die er in reiferen Jahren dann einer strengen Zen­sur unverworfen hatte". (S. 263)

Bei dem Versuch, Spuren des Lepel-Erlebnisses in Fontanes Werk aufzuzeigen,

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