offenbaren sich allerdings die Schwächen des Buches. Vor allem verfängt sich der Autor gelegentlich in einer gewissen Vagheit seines konzeptionellen Ansatzes. Das Fehlen einer präzisen Terminologie für die Untersuchung komplexer psychologischer Sachverhalte deutet auf Unsicherheit beim Umgang mit dem literaturpsychologischen Instrumentarium hin. So heißt es auf S. 290 f. über „Unwiederbringlich": „Es muß ja auffallen und beinahe als Widerspruch gelten, daß die Urteile, die im Roman am ganzen über Holk-Lepel gefällt werden, in keiner Weise mit den so viel vernichtenderen übereinstimmen, die Fontane in seinen Briefen ... mit so richterlicher Strenge über ihn verlauten ließ. Nichts davon ist in seinen Roman mit eingegangen. Das mag daran liegen, daß Holk und der junge Lepel als Persönlichkeiten ja auch in keiner Weise identisch sind. Holk ist Holk und als Mensch zunächst einmal eine Transformation des Strelitzer Grafen Plessen, dessen Geschichte in großen Umrissen auch die seine ist. Er ist Lepel lediglich auf der Ebene des Unbewußten seines Dichters." Das hier Gesagte entspricht den Zwängen einer Konstruktion, die m. E. die Bedeutung der Lepel-Freundschaft für das Werk und für das Melusine-Motiv überschätzt. „Wir geraten damit schön bei diesem ersten interpretativen Ansatz, in Holk einen Lepel mit seiner so problematischen Lebensgeschichte wiederzuerkennen, in die Verlegenheit, dessen Gestalt nicht säuberlich genug von Fontanes eigener unterscheiden zu können, nehmen das aber als ein weiteres Indiz dafür, wie sehr der junge Fontane sich einst mit seinem Freund identifiziert hatte und im Alter noch diese Selbstidentifikation mit ihm nachzuvollziehen vermochte." (S. 302)
Es sei hier nur entgegnet, daß Fontanes modellierende Übernahmen für die Holk-Figur wohl kaum auf der Arbeit des „Unbewußten" basierten, hier war eher die aufs scharfe Beobachten gedrillte „Kritik" am Werke gewesen, die den beträchtlichen „Materialwert" von Lepels Ehegeschichten für sich ausbeutete. Das Tertium comparationis zwischen Lepel und Fontane, die Affinität zum „Ewig- Weiblichen" ist in seiner Allgemeinheit zu unspezifisch und daher für die Werkanalyse wenig ergiebig. Wenn man Paulsens prinzipieller Argumentationsfigur folgte, müßte man aber die in „Unwiederbringlich" raffiniert eingefädelte Bestrafung des Gesetzesverletzers hervorheben, die nicht nur eine Bestrafung der Schwäche des Helden ist. Lepels Ausbruch mündete in einer geglückten zweiten Ehe, Holks angestrebte neue Ehe kommt nicht zustande, die Renaissance der ersten Ehe scheitert. Fontane projiziert also seine Ängste vor dem (vielleicht gewünschten) „Schritt vom Wege" in die katastrophal endende Spielhandlung, damit seinem Ressentiment gegenüber Lepel triumphierend künstlerischen Ausdruck verleihend und sich so die Überlegenheit seiner kontemplativen Beobachterposition bestätigend. Fontane hat die „lebensphilosophische" Kehrseite dieser Überlegenheit des öfteren selbstironisch zum Ausdruck gebracht:
„Ach, wie bevorzugt sind doch Lieutenants, 6 Fuß hohe Rittergutsbesitzer und all die andern aus der Familie Don Juan, und wie nehm' ich alles zurück, was ich, als ich selber noch tanzte, zu Gunsten lyrischer Dichtung und zu Ungunsten hübscher, lachender und gewaschener Herzenssieger gesagt habe." 22 Der sich hier andeutende Zusammenhang im ästhetisch-kunstpsychologischen Denken (Schiller, Fontane, Nietzsche, Thomas Mann) wird bei Paulsen bedauerlicherweise nur „impressionistisch" angerissen. Gelegentliche Hinweise auf Freud, Jung, Wyatt u. a. sind jedoch kein vollwertiger Ersatz für ein behutsam „am Mann" und am Text orientiertes konsistentes psychologisches Erklärungsmodell.
Trotz dieser Einwände ist die Studie über die Freundschaft Fontane — Lepel im wesentlichen eine gelungene Arbeit, erhellend und spannend zu lesen. Die Crux
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