des Buches allerdings ist sein Titel, der den Leser auf ein Thema einstimmt, das ursprünglich gar nicht „im Plan" war und deshalb auch nicht als organischer Bestandteil der Darstellung empfunden wird. Dieses Thema zwingt Paulsen, zusammen mit den Lepel-Spuren die konkreten Ausprägungen des Melusine-Motivs im Werk zu verfolgen. Ein solches Anliegen hätte aber einen anderen Ausgangspunkt, d. h. einen anderen Ansatz erfordert als den ursprünglich von Paulsen gewählten. Deshalb ist zwangsläufig der Erkenntnisgewinn der Studie im Hinblick auf das Melusinemotiv relativ gering, was vor allem dem letztlich maximalistischen Anspruch geschuldet ist. „Alles in einem' (Buch) ist bei Fontane heutzutage nicht mehr zu leisten. Ein in den Spezialuntersuchungen zur Melusinethematik und in den einschlägigen Passagen anderer Arbeiten fast stets ausgeblendeter Bedeutungsaspekt des „Elementaren" kommt so z. B. auch bei P. nicht zu seinem Recht: die Nachtseite des Erotischen, der Zusammenhang von Eros und Thanatos. Denn nichts anderes spricht sich aus in der abgründigen erotischen Sehnsucht der Fon- taneschen Elementarwesen nach Weite und Ruhe als der latente Wunsch der hochexponierten Unwahrscheinlichkeit menschlichen Lebens, ins Amorphe, Gestaltlose, Vor-Lebendige zurückzukehren. Das gestaltfeindliche Meer, die Ur-Heimat des Menschen sowohl in der Phylogenese wie auch — metaphorisch — in der Ontogenese ist dabei bevorzugtes Sehnsuchtsziel. Im Versinken und Verströmen in der „Flut, die alles wieder gut" macht 23 , in der Auflösung also, soll der ersehnte schmerzfreie homöostatische Zustand „vor der Geburt" wieder erreicht werden. Die Zweideutigkeit der Verben macht deutlich, daß es sich um einen Rückzug handelt, dem Eros und Tod gleichermaßen eingeschrieben sind. 24 „Bilder gegen den Tod" und „Umwege der Selbstzerstörung" erweisen sich lediglich als zwei Seiten einer Medaille. Fontane hat im Oceanefragment zu erkennen gegeben, daß ihm dieses bis auf Heraklit und Empedokles hinabreichende naturphilosophische Denken vertraut war. 25 Goethe, vor allem aber die Romantiker (Novalis, Fouque, Eichendorff, Mörike) und Heine traten dabei als Vermittler — auch des deutschen naturphilosophischen Denkens (Paracelsus, Böhme) — in Erscheinung. Was Heraklit in dunkler Vorzeit formulierte, „für die Seelen ist es Lust oder Tod zu Wasser zu werden" 20 , thematisiert auch Goethes Gedicht „Der Fischer", auf das im Oceanefragment angespielt wird. Anderson hat in seiner Studie zu den „Kinderjahren' überzeugend nachgewiesen, wie über die (kryptische) Nacherzählung von Heines „Seegespenst" in „Effi Briest" die Vinetaphantasien des auf Usedom-Wollin her- anwachsenden Fontane samt ihres erotischen Kerns evoziert werden. Die frühen Gedichte Fontanes bereits machen sinnfällig, wie sehr ihn das Spiel mit den Topoi existentiell ansprach. Das von Paulsen zitierte Gedicht „Das Wasserröslein" ist dabei noch nicht einmal das stärkste Zeugnis einer Prädisposition für das Elementare, die die bildlichen Grenzen des Melusinenmythologems zum Vereinigungsund Erlösungsmythos hin aufsprengt:
„Und Arm in Arm, und Brust an Brust/ Im Auge heiße Todeslust,/ steigt
in das kühle Flutengrab/ Der Vater mit dem Sohn hinab," 27
Für die so allgegenwärtige Fixierung Fontanes auf diesen Aspekt des Mythologems findet Paulsen zwar die passende Formel vom „Wagnerschen Liebestod" (S. 222, S. 310), beläßt es aber bei ihrer Nennung. Die konkrete werkbezogene Analyse der Kontextualität (im Falle Wagner wäre es der synchrone Kontext) Fontanescher Romane steht erst — trotz glänzender Beispiele — am Anfang. Meines Erachtens läßt sich die Zurückhaltung bei der Darstellung geistesgeschichtlichen Horizonts, in dem sich Fontane so souverän bewegte, damit erklären, daß man seine Be-
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