Heft 
(1989) 48
Seite
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des Buches allerdings ist sein Titel, der den Leser auf ein Thema einstimmt, das ursprünglich gar nichtim Plan" war und deshalb auch nicht als organischer Be­standteil der Darstellung empfunden wird. Dieses Thema zwingt Paulsen, zusam­men mit den Lepel-Spuren die konkreten Ausprägungen des Melusine-Motivs im Werk zu verfolgen. Ein solches Anliegen hätte aber einen anderen Ausgangspunkt, d. h. einen anderen Ansatz erfordert als den ursprünglich von Paulsen gewählten. Deshalb ist zwangsläufig der Erkenntnisgewinn der Studie im Hinblick auf das Melusinemotiv relativ gering, was vor allem dem letztlich maximalistischen Anspruch geschuldet ist.Alles in einem' (Buch) ist bei Fontane heutzutage nicht mehr zu leisten. Ein in den Spezialuntersuchungen zur Melusinethematik und in den einschlägigen Passagen anderer Arbeiten fast stets ausgeblendeter Bedeu­tungsaspekt desElementaren" kommt so z. B. auch bei P. nicht zu seinem Recht: die Nachtseite des Erotischen, der Zusammenhang von Eros und Thanatos. Denn nichts anderes spricht sich aus in der abgründigen erotischen Sehnsucht der Fon- taneschen Elementarwesen nach Weite und Ruhe als der latente Wunsch der hoch­exponierten Unwahrscheinlichkeit menschlichen Lebens, ins Amorphe, Gestaltlose, Vor-Lebendige zurückzukehren. Das gestaltfeindliche Meer, die Ur-Heimat des Menschen sowohl in der Phylogenese wie auch metaphorisch in der Onto­genese ist dabei bevorzugtes Sehnsuchtsziel. Im Versinken und Verströmen in der Flut, die alles wieder gut" macht 23 , in der Auflösung also, soll der ersehnte schmerzfreie homöostatische Zustandvor der Geburt" wieder erreicht werden. Die Zweideutigkeit der Verben macht deutlich, daß es sich um einen Rückzug handelt, dem Eros und Tod gleichermaßen eingeschrieben sind. 24Bilder gegen den Tod" undUmwege der Selbstzerstörung" erweisen sich lediglich als zwei Seiten einer Medaille. Fontane hat im Oceanefragment zu erkennen gegeben, daß ihm dieses bis auf Heraklit und Empedokles hinabreichende naturphilosophische Denken vertraut war. 25 Goethe, vor allem aber die Romantiker (Novalis, Fouque, Eichendorff, Mörike) und Heine traten dabei als Vermittler auch des deutschen naturphilosophischen Denkens (Paracelsus, Böhme) in Erscheinung. Was Hera­klit in dunkler Vorzeit formulierte,für die Seelen ist es Lust oder Tod zu Wasser zu werden" 20 , thematisiert auch Goethes GedichtDer Fischer", auf das im Oceane­fragment angespielt wird. Anderson hat in seiner Studie zu denKinderjahren' überzeugend nachgewiesen, wie über die (kryptische) Nacherzählung von Heines Seegespenst" inEffi Briest" die Vinetaphantasien des auf Usedom-Wollin her- anwachsenden Fontane samt ihres erotischen Kerns evoziert werden. Die frühen Gedichte Fontanes bereits machen sinnfällig, wie sehr ihn das Spiel mit den Topoi existentiell ansprach. Das von Paulsen zitierte GedichtDas Wasserröslein" ist dabei noch nicht einmal das stärkste Zeugnis einer Prädisposition für das Elemen­tare, die die bildlichen Grenzen des Melusinenmythologems zum Vereinigungs­und Erlösungsmythos hin aufsprengt:

Und Arm in Arm, und Brust an Brust/ Im Auge heiße Todeslust,/ steigt

in das kühle Flutengrab/ Der Vater mit dem Sohn hinab," 27

Für die so allgegenwärtige Fixierung Fontanes auf diesen Aspekt des Mythologems findet Paulsen zwar die passende Formel vomWagnerschen Liebestod" (S. 222, S. 310), beläßt es aber bei ihrer Nennung. Die konkrete werkbezogene Analyse der Kontextualität (im Falle Wagner wäre es der synchrone Kontext) Fontanescher Romane steht erst trotz glänzender Beispiele am Anfang. Meines Erachtens läßt sich die Zurückhaltung bei der Darstellung geistesgeschichtlichen Horizonts, in dem sich Fontane so souverän bewegte, damit erklären, daß man seine Be-

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