Heft 
(1989) 48
Seite
126
Einzelbild herunterladen

hauptungan allem saug' ich meinen Honig" nicht ernst genug nimmt, wohl auch immer noch sein Gestaltwahrnehmungsvermögen unterschätzt. Dieses ermöglichte ihm nicht nur, den Angeboten von Literatur, Malerei, Musik, sondern auch denen von Philosophie, Volkskunde, populärer Naturwissenschaft und Politik den ihn berührendenSinn" abzulesen und diese Propositionen zu einem Gewebe von immer noch wachsender Leuchtkraft der Farben zu verarbeiten. In diesem Zu­sammenhang ist Paulsens Abneigung gegen einemeist ideologisch verfärbte Literatursoziologie'' (S. VIII), die das Kunstwerk nur als Belegstellensteinbruch für geschichtsphilosophische, gesellschaftstheoretische oder praktisch-politische Auf­fassungen benutzt, vollauf berechtigt. Leerformeln wie diese, Fontane ginge es inUnwiederbringlich" umDie Gefährdung der engsten und intimsten Formen zwischenmenschlicher Beziehungen im entwickelten Kapitalismus" 28 , haben genau­so wenig mit der Anwendungliteratursoziologischer" Methoden zu schaffen, wie die feministischen Anschuldigungen I. Stephans, Fontane würde die patriarcha­lische Unterdrückung der Frau literarisch perpetuieren 29 . Paulsen gelingt es aber selbst nicht durchgängig, den Text zu dekodieren, also z. B. die künstlerischen Transponierungsprozesse dessen aufzuzeigen, was Fontane einmal dasversteckt und gefährliche Politische" an Liebesgeschichten genannt hat. Denn daß manFon­tanes Romanen nicht entnehmen (kann)", daß sichbereits ein Proletariat gebildet hatte" (S. 206), dürfte wohl eher mit seinen ästhetischen Anschauungen Zusammen­hängen als mit Blindheit für gesellschaftliche Vorgänge. 30 Nicht das oberflächen­realistische Abschildern von Zuständen entsprach Fontanes wirkungsästhetischer Strategie, sondern die historisch-mythologische Vertiefung zeitgenössischer Kon­fliktphänomene ins Archetypische. Für ein derartiges Mythologisierungsprogramm besaß eine literaturgeschichtliche Formel, (die bis heute allerdings nicht als beson­ders autoprogrammatisch angesehen wurde):

Die Romantik kann nicht aus der Welt geschafft werden, und in einer neuen Gestalt, oder vielleicht auch in ihrer alten oder nur wenig gemo­delten, wird sie (denn sie verträgt sich sehr gut mit dem Realismus .. .) aufs Neue ihren siegreichen Einzug halten". 31 Dieser Satz, während derPusseleien" anUnwiederbringlich" niedergeschrieben, ergibt einen vorzüglichen hermeneutischen Schlüssel gerade für dieses Fontanesche Werk. Paulsen verzichtet leider darauf, ihn zu benutzen, und so P. Banges franzö­sisch vorliegende Interpretation, auf die er ständig hinweist, zu ergänzen und zu erweitern. Hier wäre eine gründlichere und ausführlichere Deutung vonnöten gewesen.

Paulsen bedient sich wohl in Abgrenzung von hermetischen Wissenschafts­jargons durchweg eines flüssigen, wenn auch gelegentlich weitschweifigen Plauderstils. Der Plauderstil hat aber in der Wissenschaft eine Berechtigung nur, wenn er auf Souveränität, die er ja immer anzeigt, auch wirklich basiert. In diesem Falle stellt er eine hohe Stufe von Wissenschaftlichkeit dar, das Einfache, das schwer zu machen ist. Paulsens Souveränität dem Stoff gegenüber ist prin­zipiell unbestreitbar, aber es haben sich in seinen Text eine ganze Reihe von Flüchtigkeitsfehlern eingeschlichen nicht alle können auf das Konto von Kor­rektor oder/und Setzer gebucht werden, die diese Souveränität doch etwas relativieren. 1981 hatte Paulsen K. Attwood einensich mit den primitivsten Fakten begnügenden Positivismus'' vorgeworfen. Wie Ironie der Literatur­geschichte mutet es nun an, daß Paulsens Arbeit gerade im Faktischen einige bedenkliche Mängel aufweist. So hat Fontane angeblich Silvester Geburtstag (S. 294), stand die Salomonis-Apotheke in Leipzig (S. 69), der damals (1843) bereits

126