Rezensionen zu Bd. 2.2 121 Im Sinne seines Krieges à outrance wollten unsere besten Patrioten 1813 den Krieg auch führen, und die Leidenschaft der Sprache in den Edikten und Flugschriften jener Zeit geht noch weit über die Begeisterung und die Leidenschaft des französischen Diktators hinaus. Gambetta’s Bedeutung ist zuerst und am besten vom Hauptmann v. d. Goltz anerkannt und ausgesprochen worden, auch v. d. Wengen spricht sich in seiner letzten Schrift in demselben Sinne aus – in der Geschichte des letzten Krieges[S. 1819] zeigt sie sich am deutlichsten in der Thatsache, daß die Schöpfung neuer Streitkräfte und der Kampf der Republik fast ein leeres Wort blieben, so lange Gambetta in Paris eingeschlossen war – kaum führte ihn der Luftballon nach Tours, so war von Crémieux und Fourichon, den dortigen Regierungsmitgliedern, nicht mehr die Rede, aber die Armeen wuchsen fast aus der Erde, und das apatische, den Frieden wünschende Frankreich gab Menschen, Waffen, Geld her, soviel der Diktator befahl. Ich stimme im Ganzen mit Fontane überein, wenn er sagt:»Gambetta war in erster Reihe nicht Republikaner, sondern Patriot, und von dem kleinlichen, eitlen Eigensinn oder beschränkter Prinzipienreiterei durchaus frei. Voll großen Sinnes einem großen Ziele, der Befreiung des Vaterlandes hingegeben, hat seinem aus der Schlammfluth der Angriffe fleckenlos hervorgegangenen Thun nichts gefehlt, als das eine, das freilich in den Augen der Menschen zumeist entscheidet – der Erfolg.« Wir lassen diese Forderung bis zu einem gewissen Grade als berechtigt gelten; der Mißerfolg kann ein Verbrechen sein, ja er ist es, wenn ein wagehalsiges Thun, ein mit fremdem Gut und Blut unternommenes, nach menschlicher Berechnung chancenloses Hasardspiel vorliegt, wenn das was geschieht, ein Versuchen der Götter ist. Aber ein solcher Fall ist im Thun Gambetta’s nicht gegeben. Trotz des Ausbleibens jedes günstigen Zwischenfalls, trotz der Kapitulation von Metz, die recht eigentlich es war, die den Strich durch die Rechnung machte, lagen die Dinge mehr als einmal so, daß uns bedeutende Rückschläge treffen konnten. Alle diejenigen, welche die lange Reihe der Loirekämpfe mitgemacht haben, wissen am besten, daß uns der Sieg nicht leicht gemacht wurde.»Fachleute« haben, soviel ich weiß, Gambetta’s Bedeutung auch von deutscher Seite am wenigsten bestritten. So sehr ich im Ganzen mit Fontane übereinstimme, so kann ich doch Gambetta nicht für»ganz fleckenlos« halten, so lange er nicht die Anklagen des Untersuchungs-Komitees der Versammlung in Versailles widerlegt, welche ihm absichtliche Vernachlässigung des Lagers in Conlie vorwirft, um die Bretagnes Mobilgarden zu Grunde zu richten, welche den Kern einer royalistischen Reaktion bilden konnten. Sehr interessant sind die Mittheilungen über Garibaldi’s Korps; die Beurtheilung des Obersten Chenet durch ein Kriegsgericht, seine sogenannte Begnadigung durch Garibaldi, charakterisiren die dortigen Zustände. Chenet, eine sehr bedenkliche Persönlichkeit, war zum Tode verurtheilt, er wur-
Heft
(2021) 111
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