Heft 
(2021) 111
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Fontanes Kriegsbücher  Parr 151 Kriegspublizistik wahrgenommen wurde, nahmen die Leserinnen und Le­ser offensichtlich als ›zwischen allen Stühlen‹ stehend wahr: Denn wo gab es überhaupt ein Publikum für Fontanes Kriegsbücher? Die Fachleute hätten nicht Fachleute sein dürfen, um an seinen gele­gentlich unkonventionellen Beschreibungen Gefallen zu finden.(Das Schlachtfeld von Sedan, das er zu Pferd kennenlernte, hat er mit einer Torte verglichen.) Für die Laien waren diese Bücher in ihrer scheinbar ungehemmten Detailfülle wiederum zu speziell. Es ist kaum zu verken­nen, daß Fontane gerade das nicht gelungen ist, was ihm bei der Abfas­sung der Kriegsbücher vor allem am Herzen gelegen hat[]: Er wollte zwischen den Allgemein- und den Fachinteressen vermitteln.[] er hat es nicht, wie er wünschte, möglichst vielen, sondern nur sehr wenigen recht gemacht. 40 Ein echtes ›Volksbuch‹, das die Rezensionen in Fontanes Der Krieg gegen Frankreich sahen, ist dieses Schreibprojekt nicht geworden und ebenso we­nig ›populär‹. Dass das Werk keine Neuauflage erlebte, mag auch daran gelegen haben, dass sich das hier für die 1870er Jahre beschriebene publizistische Feld noch einmal radikal veränderte, als der Buchmarkt zu den Jubiläumsjahren 1895/96, 1900/1901 und 1910/11 mit einer Masse von Erinnerungs-Pracht­alben mit teils unverblümt chauvinistisch-patriotischem Impetus regelrecht überschwemmt wurde. Diese zugleich qualitative wie quantitative Verschie­bung hätte auch für Fontanes Der Krieg gegen Frankreich eine neue Position ergeben, sodass es nachvollziehbar ist, dass er seinem Verleger Decker am 17. September 1894 für eine in Richtung ›Jubiläums-Gedenkbuch‹ gehende Neuauflage eine Absage erteilte und bekannte, dass er»die Wiederheraus­gabe mit so und so vielen, vielleicht vorgedruckten fürstlichen und ministe­riellen Handschreiben, einfach schrecklich« fände. 41 Anders formuliert: Fontane hätte sein Projekt der ›Mitte‹ aufgeben und seinen Text mit dem Mainstream der patriotischen Feier- und Huldigungsrhetorik rahmen müs­sen; zugleich hätte die soziale Spannbreite des Publikumsprojekts verscho­ben werden müssen. Erst in jüngster Zeit hat die Geschichtswissenschaft die ›Stimme Fonta­ne‹ für eine personenorientierte Historiographie des Deutsch-Französi­schen Krieges entdeckt 42 und ihn u.a. neben den französischen Marschall François-Achille Bazaine, Bismarcks Pressereferenten Moritz Busch, Fried­rich Engels(in seiner Funktion als Journalist), Paul von Hindenburg(als Leutnant im 3. Garderegiment zu Fuß), den Oberbefehlshaber der 3. Ar­mee, Friedrich Wilhelm von Preußen und etliche andere gestellt. Das Motto des Bandes stammt aus einem Brief Fontanes an Mathilde von Rohr vom 28. August 1870:»Welche Siege, welche Verluste![] noch zwei solcher Sie­ge und wir sind ruiniert.« 43