Heft 
(2021) 111
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162 Fontane Blätter 111 Dossier: Fontanes Der Krieg gegen Frankreich zeigt, was einem modernen Kaiserreich passieren kann; ›parodistisches‹ Lesen im Sinn der Wahrnehmung von ›Gegenstimmen‹ im ›Gegenlied‹, das aber auch gleiche Klänge anschlägt, drängt sich auf. Alfred Döblins Wal­lenstein(1920) affiziert mit seiner Freilegung des Mythischen im Histori­schen jede Lektüre des sachlichen Berichts über Bewegungen und Absich­ten von Heereskörpern, lässt sie als vorzeitliche Ungeheuer durch die technische Welt stampfen und erzeugt so ›doppelbelichtete‹ Lesebilder, von denen sich eine nachzeitliche Sachbuch-Lektüre schwerlich lösen wird. Fontanes»Zusammenstellungen« der Heere, die für sich kaum ›gelesen‹ werden, gewinnen in lesender Assoziation mit jenem»organisatorischen Aufbau eines Unglücks«, wie ihn Alexander Kluges Schlachtbeschreibung (1964) dokumentiert, eine gegen den Strich geführte Leserichtung und so­mit einen Erlebniswert, den sie vorher nicht hatten. Und die eingebetteten ›Wanderungen‹ über Schlacht- und Totenfelder mit vielen»reizenden Punk­ten«(I, 325) leiten ihren»Friedhofzauber«(I, 326) nicht nur vom traditionel­len ›Balladen-Ton‹ ab, sondern erscheinen im Licht von Claude Simons Les Géorgiques(1981, dt. 1992) als Paternoster-Fahrt durch einen Zeitraum, auf dessen Ebenen sich die katastrophalen Eingriffe der menschlichen Reg­samkeit in die daniederliegende Natur wiederholen. Ob überhaupt bzw. in welchem Kontakt Fontanes Kriegsdarstellung ›in alle Zeit so bleiben‹ kann, wie es einem Psalm bislang gelingt, ist eine müßi­ge Frage angesichts des realen Schicksals aller Blumen»auf dem Felde«. In der Kette der(idealen?) Lektüren verweht die neuere nicht immer die ältere. Hier regeneriert die Erinnerung trotz ihrer Halbwertzeit auch schon Zer­fallenes, Verdrängtes und Vergessenes. So entsteht(bestenfalls?) ein sym­bolischer ›Kapitalzuwachs‹, so wächst vielleicht sogar ›Verantwortung‹: »And beyond these, there is unrest. There is great unrest« 10 als Warnung, als Hoffnung, als Besiegelung von etwas, das ›bleibt‹?