Heft 
(2021) 111
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Kaum gelesen, ungeliebt  Hehle 169 Sehr auffallend an Der Krieg gegen Frankreich scheint mir in der Tat das von Fontane selbst betonte 5 und auch von den Rezensenten hervorgehobene Streben nach Systematisierung und Übersichtlichkeit, das sich sowohl in der stark hierarchischen Gliederung in Bände, Halbbände, Kapitel, Unterka­pitel und Abschnitte zeigt als auch in Syntax, Stil und Layout: Es dominieren kurze, einfach gebaute Sätze mit höchstens einem Nebensatz. Schlüsselwör­ter, die die Orientierung innerhalb des Textes erleichtern, sind durch Sper­rung hervorgehoben. Aufzählungen, deren einzelne Punkte untereinander gesetzt sind oder durch»Erstens Zweitens« eingeleitet werden, und häufige Zusammenfassungen(»Also:«) und Zeitbestimmungen(»Es war jetzt Uhr«) 6 versuchen Übersicht, ›Sauberkeit‹ und Abstraktion in der Darstellung von Ereignissen zu schaffen, die die Beteiligten ganz anders erlebt haben müssen, zum Beispiel am Spätnachmittag und Abend des 18.8.1870 unterhalb des lothringischen Dorfes Saint-Privat-la-Montagne: als Chaos aus ohrenbetäubendem Artillerie- und Gewehrfeuer, Qualm und Rauch brennender Gehöfte, Donnern von Hufen, halb verschluckten Kom­mandorufen, Explosionen im zertrampelten Gras, sich im Sturz überschla­genden oder über gestürzte Reiter hinweggaloppierenden Pferden. Wie sehr schon diese Übersichtlichkeit und Klarheit Rezeptionslenkung ist, zeigt sich etwa, wenn man die Darstellung der Schlacht bei Waterloo in Stendhals La Chartreuse de Parme(freilich ein Roman) dagegenhält, wo der Protagonist die Schlacht, an der er teilnimmt, wegen der Unübersichtlich­keit der Geschehnisse und der extremen Fragmentierung seiner Wahrneh­mung gar nicht als solche erkennen kann. 7 Ein ähnlicher Eindruck gegen­sätzlicher Leserlenkung entsteht übrigens, wenn man die Darstellung der Schlacht bei Borodino in Tolstois Krieg und Frieden ein undurchschauba­res und daher sinnloses Geschehen, das tödliche Folgen zeitigt 8 mit jener in Fontanes Vor dem Sturm vergleicht: furchterregend, aber geordnet und daher potenziell ›heroisch‹. 9 Der preußische Kavallerieangriff auf die französische Stellung in Saint­Privat wurde, wie Fontane erläutert, aufgrund einer Kommunikationspan­ne zu früh befohlen, aus mangelnder Flexibilität nicht verschoben, als man den Fehler erkannte, erst nach extrem hohen Verlusten an Menschenleben temporär abgebrochen und schließlich mit der Eroberung der Stellung be­endet, wobei man die französischen Soldaten, die sich dort noch verteidig­ten, im Nahkampf mit Steinen zerschmetterte. 10 Nicht zuletzt die klare Strukturierung der Darstellung – eine Leistung des großen Systematikers, der Fontane(auch) war, die den Eindruck des Geordneten und daher Sinnvollen hervorruft, macht aus dieser Anhäufung von taktischen und Führungsfehlern, die allein auf preußischer Seite 8000 Personen das Leben kosteten, ein selbst von den gegnerischen Offizieren»in Thränen« bewun­dertes»großartige[s] Schauspiel[], das hier Mannesmuth und Vaterlandslie­be, Disciplin und Ehrgefühl vor ihren Augen aufführten«. 11