Kaum gelesen, ungeliebt Hehle 169 Sehr auffallend an Der Krieg gegen Frankreich scheint mir in der Tat das von Fontane selbst betonte 5 und auch von den Rezensenten hervorgehobene Streben nach Systematisierung und Übersichtlichkeit, das sich sowohl in der stark hierarchischen Gliederung in Bände, Halbbände, Kapitel, Unterkapitel und Abschnitte zeigt als auch in Syntax, Stil und Layout: Es dominieren kurze, einfach gebaute Sätze mit höchstens einem Nebensatz. Schlüsselwörter, die die Orientierung innerhalb des Textes erleichtern, sind durch Sperrung hervorgehoben. Aufzählungen, deren einzelne Punkte untereinander gesetzt sind oder durch»Erstens … Zweitens …« eingeleitet werden, und häufige Zusammenfassungen(»Also: …«) und Zeitbestimmungen(»Es war jetzt 3½ Uhr«) 6 versuchen Übersicht, ›Sauberkeit‹ und Abstraktion in der Darstellung von Ereignissen zu schaffen, die die Beteiligten ganz anders erlebt haben müssen, zum Beispiel am Spätnachmittag und Abend des 18.8.1870 unterhalb des lothringischen Dorfes Saint-Privat-la-Montagne: als Chaos aus ohrenbetäubendem Artillerie- und Gewehrfeuer, Qualm und Rauch brennender Gehöfte, Donnern von Hufen, halb verschluckten Kommandorufen, Explosionen im zertrampelten Gras, sich im Sturz überschlagenden oder über gestürzte Reiter hinweggaloppierenden Pferden. Wie sehr schon diese Übersichtlichkeit und Klarheit Rezeptionslenkung ist, zeigt sich etwa, wenn man die Darstellung der Schlacht bei Waterloo in Stendhals La Chartreuse de Parme(freilich ein Roman) dagegenhält, wo der Protagonist die Schlacht, an der er teilnimmt, wegen der Unübersichtlichkeit der Geschehnisse und der extremen Fragmentierung seiner Wahrnehmung gar nicht als solche erkennen kann. 7 Ein ähnlicher Eindruck gegensätzlicher Leserlenkung entsteht übrigens, wenn man die Darstellung der Schlacht bei Borodino in Tolstois Krieg und Frieden – ein undurchschaubares und daher sinnloses Geschehen, das tödliche Folgen zeitigt 8 – mit jener in Fontanes Vor dem Sturm vergleicht: furchterregend, aber geordnet und daher potenziell ›heroisch‹. 9 Der preußische Kavallerieangriff auf die französische Stellung in SaintPrivat wurde, wie Fontane erläutert, aufgrund einer Kommunikationspanne zu früh befohlen, aus mangelnder Flexibilität nicht verschoben, als man den Fehler erkannte, erst nach extrem hohen Verlusten an Menschenleben temporär abgebrochen und schließlich mit der Eroberung der Stellung beendet, wobei man die französischen Soldaten, die sich dort noch verteidigten, im Nahkampf mit Steinen zerschmetterte. 10 Nicht zuletzt die klare Strukturierung der Darstellung – eine Leistung des großen Systematikers, der Fontane(auch) war –, die den Eindruck des Geordneten und daher Sinnvollen hervorruft, macht aus dieser Anhäufung von taktischen und Führungsfehlern, die allein auf preußischer Seite 8000 Personen das Leben kosteten, ein selbst von den gegnerischen Offizieren»in Thränen« bewundertes»großartige[s] Schauspiel[], das hier Mannesmuth und Vaterlandsliebe, Disciplin und Ehrgefühl vor ihren Augen aufführten«. 11
Heft
(2021) 111
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