170 Fontane Blätter 111 Dossier: Fontanes Der Krieg gegen Frankreich In Fontanes Notizbuch, das er bei sich hatte, als er am 7.5.1871 das Schlachtfeld besichtigte, liest das Fazit zur Erstürmung von Saint-Privat sich so:»[…] wartete man das Eintreffen der Sachsen hier ab, so konnte viel Blut gespart werden; der Angriff, nachdem man S t Marie hatte, war eigentlich ein Unsinn, man konnte ganz gut warten, denn man lag ja nun so, daß der Feind angreifen mußte, um zu entkommen.« 12 Wenn wir nach leitenden Fragen und Aspekten für die Analyse der Kriegsbücher suchen, so würde mir eine systematische Untersuchung der Darstellungsprinzipien, der journalistischen, historiografischen und literarischen Verfahrensweisen und der Strategien der Rezeptionslenkung vorschweben, einerseits im close reading ausgewählter Passagen, andererseits im Vergleich zwischen den drei Werken. Aufschlussreich könnte es in diesem Zusammenhang sein, die Darstellung eines und desselben Ereignisses in den Kriegsbüchern, den Notizbüchern – die Fontanes unmittelbarem Eindruck von Örtlichkeiten und sichtbaren Konsequenzen der Ereignisse am nächsten kommen – und den aus denselben Recherchereisen hervorgegangenen feuilletonistisch-narrativen Texten, im Fall des Krieges gegen Frankreich also Kriegsgefangen und Aus den Tagen der Occupation, zu vergleichen. Wenn man dazu von Fall zu Fall auch die Reflexe im Erzählwerk in Beziehung setzte, 13 ließe sich untersuchen, wie die Darstellung je nach Genre, nach angesprochenem(implizitem) Publikum und Kontext variiert. Als Drittes möchte ich ein Stichwort von John Osborne aufgreifen, die »mythenbildende Tendenz der Kriegsberichterstattung«, die Fontane selbst bereits reflektiert. 14 Inwieweit und mit welchen Strategien und Verfahrensweisen Fontane in den Kriegsbüchern solche Mythenbildung betreibt – und wie er sie im Erzählwerk aufgreift, abwandelt, unterläuft, konterkariert –, wäre wohl noch eingehenderer Betrachtung wert. Wichtig scheint mir bei all dem, sich bewusst zu machen, dass die Kriegsbücher, fremd und möglicherweise unsympathisch wie sie auf uns heutige Leser wirken mögen, Fontane deutlich als historische Person, als Mann seiner Zeit zeigen. Diese Facette seiner Autorschaft macht es weniger leicht als etwa das Erzählwerk, Konzepte, Ideale und vielleicht auch Ängste unserer eigenen Zeit auf ihn und sein Werk zu projizieren.
Heft
(2021) 111
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten