Heft 
(2021) 111
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190 Fontane Blätter 111 Rezensionen Theodor Fontane: Kriegsgefangen. Erlebtes 1870. Mit einem Nachwort von Christine Hehle. Berlin: Aufbau Verlag 2020. 264 S. 20,00 Gabriele Radecke, Robert Rauh: Fontanes Kriegsgefangenschaft. Wie der Dichter in Frankreich dem Tod entging. Berlin: be.bra verlag 2020. 189 S. 20,00 150 Jahre nach dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges sind im vergangenen Jahr zwei Bände erschienen, die sich dem wohl spektakulärs­ten Abschnitt eines Schriftstellerlebens widmen, das sich, von Barrikaden­kämpfen abgesehen, doch in gemäßigteren Bahnen vollzog: Theodor Fon­tanes zweimonatige Kriegsgefangenschaft in den Festungen Besançon und Îsle dOléron im Herbst 1870. Der Umstand, dass der vermeintliche Spion die Geschichte seiner Inhaftierung schon im Gefängnis aufzuschreiben be­ginnt und sie bald nach seiner Entlassung unter dem Titel Kriegsgefangen. Erlebtes 1870 in der Vossischen Zeitung veröffentlicht, macht seinen erzwun­genen Aufenthalt nicht nur biografisch, sondern auch literatur-, kultur- und militärhistorisch interessant. Die Literaturwissenschaft hat sich mit Kriegsgefangen nicht leicht getan. Dafür spricht nicht nur die vergleichsweise späte, mit den Namen Hermann Fricke, Hans-Heinrich Reuter und Charlotte Jolles verbundene Aufwertung des Textes. Eine Schwierigkeit anderer Art betrifft seine unsichere Stellung in Fontanes Gesamtwerk. Während ihn Conrad Wandrey 1919 noch zur Rei­seliteratur gezählt hatte, wiesen ihm die Fontane-Ausgaben der Nymphen­burger Verlagshandlung(1962) und des Hanser-Verlags(1973) ihre autobio­grafischen Abteilungen zu. 1 Das aktuelle Fontane-Handbuch(2000) hat die »prekäre Gattungsfrage« 2 von Kriegsgefangen anders beantwortet und den Text zum»Nebenprodukt« 3 der Kriegsbücher erklärt. Neuere Forschungsar­beiten sind dieser Klassifizierung nicht gefolgt. Vielmehr bekräftigen sie den autobiografischen Status des Werks, betonen seine Literarizität und sprechen ihm eine Schlüsselposition in Fontanes Produktion zu. 4 Ausdruck der jüngsten Forschungstendenzen sind auch die angezeigten Publikationen, die sich bei aller Verschiedenheit nicht allein an eine akade­mische Öffentlichkeit richten. Eine Leseausgabe des Aufbau-Verlags prä­sentiert Kriegsgefangen nicht als neuen Text. Vielmehr folgt sie einer älte­ren, 1999 am selben Ort publizierten Ausgabe(Nachwort Gotthard Erler), mit der sie neben dem Anhang übersetzter französischer Wörter und Wen­dungen auch die gegenüber der ersten Buchfassung(1871, Verlag Rudolf v. Decker)»modernisierte« Textgestalt teilt. 5 Was den neuen Band von einer bloßen Jubiläumsproduktion unterscheidet, verdankt sich dem gut 20-seiti­gen Nachwort von Christine Hehle(S. 243-264). Neben den wichtigsten Sta­tionen von Fontanes Gefangenschaft informiert es über die Hintergründe