194 Fontane Blätter 111 Rezensionen kums treffen, bleibt auch jenseits der in Rede stehenden Nähe-Effekte dahingestellt. Nicht nur die akribischen Vor-Ort-Recherchen führen zu neuen Erkenntnissen in der»dramatischen Geschichte«(S. 8) von Fontanes Kriegsgefangenschaft – auch wenn aufgrund fehlender Überlieferung offenbleiben muss, welche Anteile die Politiker Crémieux oder Bismarck an Fontanes Rettung genau leisteten. Die Autoren schließen zahlreiche Lücken, bringen neue Belege bei und korrigieren Datierungsfehler und Ortsangaben. Darüber geben sie Einblick in die literarische Konstruktion von Kriegsgefangen, etwa wenn sie zeigen, wie Fontane zugunsten einer Erzählzäsur zwei Ereignisse unterschiedlichen Datums auf einen Tag fallen lässt. So legt er am 26. Oktober 1870 eine wohl schon zwei Tage ältere»böse Nachricht«(S. 82), die seine Gefangenschaft trotz des Freispruchs vom Spionageverdacht andauern lässt, mit einer»gute[n]« zusammen, die ihm mit dem Status als Höherer Offizier zugleich verbesserte Haftbedingungen zuerkennt. Damit profilieren auch Radecke und Rauh Kriegsgefangen als einen fiktionalisierten, die außerliterarische Wirklichkeit durch Abweichungen, Auslassungen und Stilisierungen bearbeitenden Text. Mit seinen Exkursen(»Über die Franzosen«, S. 20 f, 64 f), aber auch mit einem Epilog zur Entstehung und zeitgenössischen Wirkung von Kriegsgefangen(S. 141–149) empfiehlt sich der Band auch durch seinen umfassenden Anhang(S. 153–186) gleich mehreren Zielgruppen und Verwendungszwecken. Personen-, Literatur- und Anmerkungsverzeichnis bieten sowohl wissenschaftlichen Lesern als auch Fontane-Liebhabern bibliographische Nachweise, weiterführende Informationen und Literaturhinweise. Darüber hinaus machen Schaubilder und Übersichtskarten(S. 159 f) das Buch auch für literaturtouristische Zwecke handhabbar. Sie ordnen die Initiativen zu Fontanes Rettung, veranschaulichen die verschiedenen Stationen seiner Haft und machen die Wege des Schriftstellers durch Frankreich nachvollziehbar. Zum Schluss wünscht man beiden Publikationen, der Leseausgabe des Aufbau-Verlags und der erzählenden Recherche von Gabriele Radecke und Robert Rauh aus dem be.bra-Verlag, jene Erweiterung der Leserschaft, auf die sie ausgerichtet sind. Zuletzt – aber darüber hinaus – begrüßte man eine Studienausgabe von Kriegsgefangen, die Fontanes Text und die aktuelle Forschung zu ihm vereint. An den besprochenen Bänden wird sie nicht vorbeigehen können. Maria Brosig
Heft
(2021) 111
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