Heft 
(2021) 111
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196 Fontane Blätter 111 Rezensionen Petra S. McGillen: The Fontane Workshop. Manufacturing Realism in the Industrial Age of Print. New York, London: Bloomsbury Academic 2019(New Directions in German Studies, Vol. 26). XVII, 309 S. 129,99 Petra McGillens Studie, die aus ihrer Dissertation und verschiedenen Auf­sätzen hervorgegangen ist, beginnt mit Fontanes ikonischem Schreibtisch­Foto von 1896. Gut 300 Seiten später»sehen« wir das Foto ein zweites Mal, doch nun hat es sich in bemerkenswerter Weise verändert: An die Stelle des einsamen Dichters, der den Blick gedankenvoll aus dem Fenster richtet, ist ein Handwerker und Netzwerker getreten, ein Medienprofi genauer: Germanys first remix artist(S. 17). Vollzogen hat sich diese Verwandlung durch eine ebenso gründliche wie innovative Untersuchung von Fontanes kreativem Prozess, wie er sich aus Archivmaterialien und sekundären Zeugnissen rekonstruieren lässt, und seiner Einbettung in den medienhistorischen Kontext der Jahre zwischen 1860 und 1900. Der Medienprofi als poetischer Realist Durch die einflussreiche, von Genie-Kult und Romantik geprägte Imago des Autors als inspirierter Genius geriet im 19. Jahrhundert das ältere Konzept des Autors als Compilator, das in Antike und Mittelalter in hohem Ansehen stand und in der Renaissance eine weitere Blütezeit erlebte, in das schlechte Licht des Unoriginellen, Unkreativen. Gleichzeitig vollzog sich eine grund­legende Veränderung der Medienlandschaft durch technische Innovatio­nen wie die Rotations-(Drucker-)Presse und die maschinelle Papiererzeu­gung, durch einen enormen Anstieg des Lesepublikums und eine stark zunehmende Nachfrage nach Unterhaltung, der die Massenpresse und die Abonnements-Zeitschriften Rechnung trugen. Diese medienhistorische Entwicklung, die zu gesteigertem Wettbewerb und Termindruck führte, brachte viele Autoren an ihre Grenzen. Manche zogen sich schließlich ganz von den Massenmedien zurück, etwa Wilhelm Raabe, Gottfried Keller oder Annette von Droste-Hülshoff. Mithalten konnte nur ein Autor, der seine Arbeitstechnik auf die Bedingungen des literarischen Marktes ausrichtete, und das bedeutete unter anderem, dass er auf modulare, serielle, kompila­torische Methoden zurückgriff. Fontane, so zeigt die Studie, scheint die Be­dingungen, die viele seiner Kollegen und Konkurrenten frustrierten, als stimulierend empfunden und sich ihrer mit Gewinn bedient zu haben be­günstigt durch seine Ausbildung, seine Berufserfahrung und seine Routine als Journalist, aber auch als Apotheker.