Heft 
(2021) 111
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McGillen: The Fontane Workshop  Hehle 197 Zur Untersuchung von Fontanes kreativem Prozess zieht Petra McGillen das von Stephan Porombka entwickelte Konzept der Workshop-Poetik her­an, das die individuelle Schreibszene des Autors mit der kommunikativen Logik seines Medienumfelds, der Logistik von Produktion und Distribution sowie seinem Netzwerk von Freunden, Kollegen und Helfern verbindet und so das Dilemma zwischen dem Bild des originellen, inspirierten Autors und jenem des mechanisch-industriell arbeitenden Compilators oder Kolporta­ge-Produzenten vermeidet. Der Darstellung des medienhistorischen Moments mit seinen technolo­gischen Innovationen, seiner veränderten Medienlandschaft und ihren Aus­wirkungen auf die Autorschaft(Kapitel I) folgt eine Analyse jener Elemente in Fontanes Biographie, die konstitutiv für seine Arbeitstechnik als Autor waren(Kapitel  II). Der Apotheker»vererbte« dem Schriftsteller verinner­lichte Arbeitsroutinen wie die Aufbewahrung von Materialien in klar defi­nierten, separaten Behältnissen: Fontanes selbst verfertigte»Pappkästen«, seine»Mappen«, seine»Banderolen« aus Zeitungspapier mit Etiketten und die Papierbögen, in denen er Konvolute loser Blätter bzw. Bögen aufbewahr­te, ähneln den Ordnungsinstrumenten einer Apotheke des 19. Jahrhunderts, sein Schreibtisch einem Rezepturtisch; die pharmazeutischen Techniken des Aufteilens, Trennens und neu Zusammenmischens lassen sich mit dem Kompositionsprozess eines Compilators in Beziehung setzen. Der Journa­list, insbesondere der Redakteur»unechter« Korrespondenzen, perfektio­nierte die Verfertigung von Texten mittels Kompilation: Nachrichtenagentu­ren wie etwa Max Schlesingers Deutsch-Englische Korrespondenz lieferten die Nachrichten schon vorfaçonniert zum Ausschneiden und Neu-Zusam­mensetzen. Diese fügte der Redakteur, wie Petra McGillen an der Korres­pondenz Das große Feuer und die Taschendiebe(»London« 1861) zeigt, im Copy-and-Paste-Verfahren zusammen, versah sie mit Übergängen und er­weckte durch Erhöhung der Dramatik, Verwendung der ersten Person und Individualisierung allgemein kursierenden Wissens den Anschein eines Au­genzeugenberichts. Er verfertigte also Authentizität eine Methode, von der Fontane später bei der Erzeugung von Realitätseffekten in seinen literari­schen Texten weiteren raffinierten Gebrauch machen sollte. Für das Ergebnis kompilatorischen Schreibens kommt es darauf an, wie vorgefundene Versatzstücke zu einem neuen, kohärenten Ganzen geformt werden. Darin liegen dessen Originalität und sein ästhetischer Wert. Petra McGillen parallelisiert Fontanes Verfahren, heterogene Elemente neu zu­sammenzusetzen, wobei glatte, gleichsam polierte Textoberflächen entste­hen, mit dem remix in der Musik bzw. der Popkultur: Nach dem Kriterium des ästhetisch Passenden und entsprechend ihren kulturellen Konnotatio­nen ausgewählte Versatzstücke werden mittels sanfter Übergänge zu einem harmonischen Ganzen verblendet, dem man(anders als bei der Collage) die