Heft 
(2021) 111
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McGillen: The Fontane Workshop  Hehle 199 matik erschwerte das Wiederfinden einzelner Elemente und damit auch die Arbeit an einem geordneten Nachlass. Das um 1890 verfolgte Projekt einer Gesamtausgabe kam nicht über Anfänge hinaus, und anders als etwa Goe­the oder Raabe setzte Fontane sich nie zur Ruhe oder legte eine Produkti­onspause ein, um sich seinem Nachlass zu widmen, sondern delegierte diese Aufgabe testamentarisch an eine»Nachlass-Kommission« mit den bekann­ten Folgen. Das Kapitel Generating Output analysiert Fontanes(literarischen) Schreibprozess. Im Rückgriff auf E. A. Poes Philosophy of Composition be­stimmt es als Ausgangspunkt des literarischen Schreibens einen ange­strebten ästhetischen Effekt, in Fontanes Fall die Illusion gesellschaftlicher Realität, die durch Überlagerung unterschiedlicher Elemente erzeugt wird. Diese Überblendung bringt komplexe Texte hervor, die gleich dem media­len Umfeld, in dem Fontanes Romane und Erzählungen sich bewegen, näm­lich den Kultur- und Familienzeitschriften sowohl primär an Unterhal­tung interessierten Lesern gefallen als auch jene ansprechen, die ihr Vergnügen an anspruchsvollen ästhetischen Effekten, an Polyphonie, Iro­nie und Selbstreflexivität haben. Indem sie Fontanes paper tools als interfaces versteht, die die Schnitt­stelle zwischen Fontanes Archiv, seinen Arbeitsmethoden, seinen Publika­tionszielen und dem literarischen Markt bilden, untersucht Petra McGillen drei hervorstechende Notationsformen, die besonders in Fontanes Notizbü­chern immer wieder auftauchen: Listen, modulare Einträge( discrete boun­ded entries, voneinander getrennt durch horizontale Linien oder ausge­schnitten und dann in Werkmanuskripte eingefügt) sowie Zeichnungen ( sketches: Skizzen von Gegenständen, die als Platzhalter für eine genauere Beschreibung fungieren, und diagrams: topographische Skizzen, die der Orientierung, aber mitunter auch schon der Vorbereitung von Perspektiv­wechseln in Erzähltexten dienen). Diese Notationsformen funktionieren als Module und ermöglichen Strukturierung bei gleichzeitiger Offenheit; alle drei brechen die diskursive Ordnung der Schrift auf, indem sie graphische Elemente miteinbeziehen, und erlauben so ein Maximum an Rekombinati­onsmöglichkeiten.(Hier ist vielleicht der Punkt, eine Kritik anzubringen, die sich nicht an die Autorin, wohl aber an den Verlag richtet: Die durchweg schlechte Qualität der Abbildungen erschwert es, die Diskussion der Hand­schriftenbefunde nachzuvollziehen.) Worin der Nutzen dieser modularen Arbeitstechnik und seiner flexiblen Aufbewahrungsmethode für Fontanes Textproduktion und Publikations­praxis bestand, wird überzeugend dargelegt: Beides gestattete ihm, gleich­zeitig an verschiedenen Projekten zu arbeiten und andererseits Projekte nach längeren Unterbrechungen wiederaufzunehmen, fortzusetzen und abzuschließen. Statt wie andere Autoren unter Zeitdruck Folge für Folge zu produzieren und dabei womöglich das große Ganze aus den Augen zu ver-