Heft 
(2021) 112
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Briefe an eine Schauspielerin  Spirawski 11 der Bühne. Nach dem frühen Tod der Mutter siedelte der Vater mit seinen beiden Töchtern an den Rhein, nach Köln, über. Dort begann Marie Seebach 1845 eine Ausbildung zur Opernsängerin, welche sie aber auf Grund man­gelnder Begabung aufgeben mußte. Bei verschiedenen kleinen Auftritten in Nürnberg und Regensburg, wo die Familie wegen des väterlichen Berufes zeitweilig lebte, wurde ihr Talent für die Schauspielerei entdeckt. Daraufhin ließ ihr Vater sie zur Schauspielerin ausbilden. 1848 konnte sie die Ausbil­dung abschließen und ihr erstes Engagement in Lübeck antreten. 4 Es folg­ten feste Anstellungen als Schauspielerin an bedeutenden Bühnen Deutsch­lands: in Kassel, Hamburg, Wien und Hannover. 1867 entschloss sie sich, auf große Tournee zu gehen, die letztlich zwanzig Jahre andauern sollte. Marie Seebach kam in diesen zwei Jahrzehnten bis nach Amerika und Rußland und konnte dadurch eine beinahe weltweite Berühmtheit erlangen. 5 1887 entschied Marie Seebach sich, da sie des Herumreisens müde war, die Nach­folge ihrer kurz zuvor verstorbenen Tante am Berliner Schauspielhaus anzu­treten. Verpflichtet wurde sie für das ältere Fach. Durch diese Anstellung gelangte sie in den Rang einer königlich-preußischen Hofschauspielerin. 6 Ihren ersten Auftritt am Schauspielhause, als sie die Märchentante in Otto Franz Gensichens gleichnamigem Stück verkörperte, kommentierte Fontane in seiner Besprechung der Aufführung vom 5. März 1887 folgendermaßen: Nichts kann mir ferner liegen, als der ausgezeichneten Künstlerin, die wir seit kurzem zu besitzen das Glück haben, ihr Wurzelfassen in unse­rem Boden erschweren zu wollen. Im Gegentheil, ich kann nicht oft ge­nug betonen, eine wie vorzügliche Wahl es war, Frau Seebach an die Stelle der Frau Frieb treten zu lassen. Denn Frau S. hat doch vieles mit ihrer Vorgängerin gemein: ernste Künstlerschaft, Esprit, Eindringen in die Rolle, Vorliebe für das Detail und sogar Humor. Auch ihre Figur und ihre Jahre begünstigen sie für die große Mehrzahl der in Frage kom­menden Rollen. 7 Am 27. November 1888, also etwas mehr als ein Jahr nach oben genannter Theaterkritik, wandte sich Fontane brieflich an die von ihm geschätzte Schauspielerin. Anscheinend erreichte ihn in der Zeit davor eine Einladung Marie Seebachs zu einem von ihr veranstalteten Bazar. Diese Einladung ist allerdings nicht überliefert. Fontane mußte ihr eine Absage erteilen, da er »am Erscheinen verhindert« sei. Diese Verhinderung rechtfertigte er mit ei­nem»Einsamkeitshang«, der aus seinem»Bazar-Haß noch besondre Nah­rung« ziehe. Daß seine Entschuldigung kein reiner Vorwand zum Fernblei­ben war, läßt ein ungefähr zur selben Zeit niedergeschriebener Eintrag in Fontanes Tagebuch vermuten:»Im übrigen verläuft das Leben im alten Ge­leise; wenig Gesellschaftlichkeit und wenig gelesen, weil das Interesse daran immer mehr einschläft.« 8 Fontane nutze seinen Brief neben der Absage noch dazu, bei Marie Seebach»für all die gesellschaftlichen Sünden« um»Gene­ral-Absolution« zu bitten. Worum es sich bei diesen»Sünden«, von denen er