Heft 
(2021) 112
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Fontane im Felde  Becker 29 Praxis vollkommen außer Acht. Vielleicht war es tatsächlich, wie er selbst später behauptete, sein Enthusiasmus für historische Stätten und Kultur­denkmäler, der ihn so leichtsinnig nach Domrémy, in die Stadt der ›Jungfrau von Orléans‹, reisen ließ; oder, mit historischem Abstand formuliert, ein Ha­bitus, den er sich als Reiseschriftsteller in den Jahren zuvor angeeignet hat­te und in der neuen Situation nicht abzulegen vermochte. 5. Das Interesse am ›Volkskrieg‹ In beiden Büchern, in Kriegsgefangen ebenso wie in Aus den Tagen der ­Occupation, fällt auf, wie häufig Fontane bei der Behandlung des Krieges im engeren Sinne auf Ereignisse im Zusammenhang mit dem französischen Volkswiderstand eingeht. Bekanntlich war es in Frankreich nach der Schlacht von Sedan und der Gefangennahme Napoleons III. zu einem Sys­temwechsel gekommen, und die neu ausgerufene Republik zog seither alle Register eines Miliz- und Partisanenkrieges, um die preußisch-deutschen Invasionsarmeen doch noch aus dem Land zu treiben. Auch seine eigene Gefangennahme rückte Fontane schon vor diesen Hintergrund, indem er ausdrücklich erwähnte, dass er unter Beteiligung eines»Franctireurs«, also eines Freischärlers, abgeführt worden sei. 22 Im zweiten Teil von Kriegs­gefangen, in dem vor allem die Geschichten wiedergegeben werden, die Fontanes Mithäftlinge auf der Insel Oléron von den Umständen ihrer eige­nen Gefangennahme erzählen, häufen sich die unheilvollen Begegnungen mit Partisanen, die kleineren Gruppen deutscher Soldaten in unwegsamem Gelände auflauerten oder sie nachts in den Dörfern angriffen, in denen sie arglos ihr Quartier genommen hatten. Dieser Aufbau des Buches legt den Gedanken an einen Parallelismus nahe: Im ersten Teil wird geschildert, wie Fontane selbst ungewollt in die Rolle eines vermeintlichen Spions hineingerät. Der Spion aber ist als Typus gleichsam der Partisan einer Invasionsarmee; wo es nicht um die Verteidi­gung der Heimat geht, kann die Aufgabe des Freischärlers in der unauffälli­gen Beschaffung von Informationen bestehen. Im zweiten Teil des Buches werden die französischen Partisanen behandelt, die zwar von ihren deut­schen Gegnern geschmäht werden, aber durchaus eine gewisse Faszinati­onskraft besitzen als Gestalten, die plötzlich aus der Erde wachsen, deren Zahl sich blitzartig erhöht und die damit zu einer wirksamen Waffe im Ab­wehrkampf gegen die Eindringlinge werden. Und auch in dem Reisebericht Aus den Tagen der Occupation widmete sich Fontane ausführlich den Aus­fallgefechten von Le Bourget, an denen die Mobilgarden der Hauptstadt be­teiligt waren, 23 schilderte die Kämpfe des bewaffneten Volkes im Namen der Pariser Kommune, die er von Montmorency aus mit bloßem Auge beobach­ten konnte, 24 und erzählte von nächtlichen Überfällen in Amiens. 25