30 Fontane Blätter 112 Dossier. Fortsetzung 6. Das 19. Jahrhundert und die Frage, wie der Krieg zu führen sei Dieses besondere Interesse des Autors verlangt nach einer Erklärung. Offenbar hat es damit zu tun, dass die Frage nach der angemessenen Form der Kriegführung und, damit verbunden, der richtigen Wehrverfassung, zu den wichtigsten politischen Fragen des 19. Jahrhunderts gehörte. Mit der Französischen Revolution war das frühneuzeitliche System der Fürstenheere, in denen adelige Offiziere gedungene oder angeworbene Mannschaftssoldaten aus der ländlichen Unterschicht befehligten, an sein historisches Ende gelangt. Was allerdings an seine Stelle treten sollte, blieb strittig. 1793 führte Frankreich mit der ›levée en masse‹ die allgemeine Wehrpflicht ein; die Nationalidee verlangte den Einsatz jedes Bürgers für sein Vaterland. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts setzte sich westlich des Rheins jedoch die sogenannte Konskription durch, das heißt der Losentscheid über die tatsächliche Einziehung von jungen Männern, die nur auf dem Papier allesamt wehrpflichtig waren. Wer vom Los getroffen wurde, hatte zudem die Möglichkeit, einen Stellvertreter zu bezahlen, wofür man sogar Versicherungen abschließen konnte. Die wohlhabenderen Teile der Bevölkerung entzogen sich damit dem Militär. Tatsächlich dienten überwiegend Soldaten aus der Unterschicht, die den Wehrdienst oft mehrmals hintereinander absolvierten, weil sie immer wieder die Handgelder für die Stellvertretung kassieren wollten. Diese lange Dienstzeit verlieh den französischen Truppen die Züge einer Berufsarmee. 26 Gänzlich dem Prinzip der Berufsarmee verpflichtet war Großbritannien. Hier galt der Militärdienst als ein Beruf wie andere, für den man sich frei entscheiden konnte. Weil die Bezahlung schlecht und das Risiko für Leib und Leben groß war, zog er, abgesehen natürlich von den Offiziersstellen, nur Männer aus ärmsten Verhältnissen an. Ein drittes Modell wurde in Preußen praktiziert. Hier galt nach der Neuordnung des Militärwesens in den Jahren 1814 und 1819 die allgemeine Wehrpflicht ohne Stellvertretung. Um die Beteiligung der Nation an den militärischen Anstrengungen zu berücksichtigen, wurden überdies Landwehren aufgestellt, also milizartige Verbände, in denen kurz ausgebildete Männer aus den bürgerlichen Schichten dienten. Die höheren Offiziersstellen blieben dem Adel vorbehalten. Neben diesen Typen von Wehrsystemen, die sich mit leichten Abweichungen auch in den anderen Staaten, teils im Zeitverlauf variierend, fanden, standen aber noch Formen der militärischen Gewalt, die in Kriegen angewendet, aber nicht in Wehrverfassungen auf Dauer gestellt wurden. Hiermit ist der Kleine Krieg, der Guerilla gemeint, der die Idee auf die Spitze trieb, jedermann sei für den Erhalt der politischen Ordnung mitverantwortlich, der er angehöre. Die zu verteidigende Ordnung konnte dabei konservativ geprägt sein, wie 1808 in Spanien oder 1809 in Tirol, wo der Widerstand gegen die Franzosen bzw. die mit ihnen verbündeten Bayern vor allem von
Heft
(2021) 112
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