Heft 
(2021) 112
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Fontane im Felde  Becker 31 der katholischen Kirche ausging, aber sie konnte auch die Nation im moder­nen Sinne sein, die ihre liberalen oder republikanischen Prinzipien mit allen verfügbaren Mitteln schützte. Diese Mittel überschritten alle Grenzen, die traditionell zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung gezogen worden wa­ren; auch Zivilisten beteiligten sich an den Kampfhandlungen, jedes Mittel, auch der Angriff aus dem Hinterhalt, war erlaubt, wenn nur der Feind ge­schädigt wurde. 27 Da diese Form der Kriegführung seit den napoleonischen bzw. antina­poleonischen Kriegen bekannt war, ja sich dem Gedächtnis der Völker auf­grund ihrer Radikalität besonders stark eingeprägt hatte, fürchteten die Staatsmänner und Heerführer des 19. Jahrhunderts stets ihre Wiederkehr. Auch wenn alle bestehenden Wehrverfassungen die Grenze zwischen Kom­battanten und Nicht-Kombattanten neu befestigten, auch wenn in den tat­sächlich geführten Kriegen alle Anstrengungen zur Einhegung der Kon­flikte gemacht wurden als ein gefährliches Potenzial schlummerte der Volks- oder Partisanenkrieg weiterhin unter der Oberfläche. In Preußen, dessen politische Verhältnisse Fontane vor Augen standen, hatte sich aus diesem grundlegenden Problem eine besonders komplizierte Gemengelage ergeben. In den Befreiungskriegen zu Beginn des 19. Jahr­hunderts hatte die Krone selbst mit dem Landwehredikt vom März 1813 auf das Mittel der Volksbewaffnung zurückgegriffen. Wie oben ausgeführt, wa­ren die Landwehren anschließend zu einem Teil des Wehrsystems, also auf Dauer gestellt worden. Die Roonsche Heeresreform in den 1860er-Jahren hingegen verschlechterte ihren Status; von der Regierungsseite wurde ar­gumentiert, in einem modernen Krieg mit seinen gesteigerten Anforde­rungen an Mobilität und Waffenbeherrschung seien sie nur noch bedingt verwendbar. Das bürgerlich-liberale Lager dagegen identifizierte mit der Landwehr die militärpolitische Würdigung der eigenen Bedeutung im staatlichen Leben. Bekanntlich verweigerten die Liberalen im preußischen Abgeordnetenhaus die Mittel für die Roonsche Reform, was zu jenem Ver­fassungskonflikt führte, der die Kriege von 1864 und 1866 überschattete und erst mit der Indemnitätsvorlage von 1867 beigelegt wurde. 28 In Dänemark und auf den Schauplätzen des Deutschen Krieges aber kämpfte bereits die von Roon reformierte Armee, deren Erfolge wachsende Teile des liberalen Lagers beeindruckten. In der Folge suchten sich die bür­gerlichen Beobachter ein neues Identifikationsobjekt: Nun galt die allgemei­ne Wehrpflicht, ebenfalls seit den Befreiungskriegen fester Bestandteil der preußischen Heeresverfassung, als entscheidendes Bindeglied zwischen Armee und Nation. 1870/71, als offen zu Tage lag, dass die alten Eliten die nationale Einigung unterstützten, ja selbst vorantrieben, feierte die bürger­liche Öffentlichkeit das bestehende Wehrsystem sogar als eine besonders gelungene Synthese von professioneller Führung und gesellschaftlicher Teilhabe: Die Wehrpflicht nutze die Kräfte der Nation konsequent aus, lasse