Heft 
(2021) 112
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Die Gartenlaube im Krieg  Stockinger 41 An unsere Leser! Angesichts des frevelhaften Uebermuths, mit wel­chem in diesem Augenblicke Frankreich, aus keinem andern Anlaß, als erbärmlicher Ruhmeseitelkeit, die furchtbarste Kriegesbrandfackel in den Friedenssegen unseres Vaterlandes schleudert, angesichts dieser bubenhaften Verhöhnung unserer nationalen Würde und Freiheit, muß die gesammte deutsche Presse geharnischter als je sich als die Groß­macht bewähren, welche den Geist des Volkes in den Kampf führt. Der Geist vom Jahre Dreizehn muß unsere ganze Nation erheben, denn die­ser Kampf, welchen die zwei Riesen der Wehrkraft Europas beginnen, kann nur mit der politischen Vernichtung des Einen enden. 22 Die Gartenlaube rüstete hier sprachlich auf, sie militarisierte sich; die Kriegsschuldfrage galt geklärt(sie wurde einseitig Frankreich zugewie­sen), die Rolle der Presse ebenso. Überparteilich zu sein hieß demnach, den Krieg zu billigen und zu unterstützen. Dem ausgestellten nationalen Selbst­verständnis zufolge war der Einigungsprozess de facto bereits vollendet. Im Traditionsraum der Befreiungskriege gegen Napoleon, hier angespielt im Hinweis auf die sogenannte Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813, wurde er verankert und dadurch legitimiert. Bemerkenswert ist nun, wie die Gartenlaube aus diesem Zusammenhang heraus ihren eigenen Beitrag konzeptualisierte. Wie sah eine dem Organ Familienblatt gemäße, spezifische ›patriotische Pflichterfüllung‹ demnach aus? Man tue seine ureigene»Schuldigkeit«, indem man ›anrege‹ und ›be­richte‹, ›sammle‹ und ›opfere‹. 23 Dass hier, so die Gartenlauben- Redaktion, etwas ›geopfert‹ werde, ist besonders interessant. Worin könnte dieses Op­fer bestehen? Die nächste Zeile der Leser*innen-Adresse berichtet von»Vor­kehrungen«, die man getroffen habe, indem»nicht nur Künstler, sondern auch Schriftsteller in unserem Auftrage von den Hauptquartieren aus den militärischen Bewegungen folgen werden, um das Wichtigste und Interes­santeste aus dem Marsch-, Feld- und Kriegsleben in Bild und Text zur An­schauung zu bringen.« 24 Konkret angekündigt(und auch umgesetzt) wird ein Korrespondentensystem aus embedded journalists, eine Kriegsbericht­erstattung in Bild und Text, zeitnah am Geschehen, schnell beim Leser. 25 Das veränderte Konzept ließ sich auch eine typische Gartenlauben- Volte für die Bindung des Publikums funktionalisieren. Schließlich war man der Um­stellung wegen mehr als sonst auf dessen Mitwirkung angewiesen. Das je­denfalls behauptete eine Leser*innenbrief-Replik in Heft 35 von 1870: K. in Lz. Sind sehr willkommen und werden sofort zum Druck befördert werden. Wir fordern überhaupt Alle, welche Feder oder Stift zu führen verstehen, dringend auf, durch Einsendung von Schilderungen oder durch authentische Darstellungen vom Kriegsschauplatz, unser Bestre­ben, ein lebendiges und treues Bild des großen nationalen Kampfes zu geben, möglichst zu unterstützen. Alle Beiträge werden in der anstän-