Heft 
(2021) 112
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Die Gartenlaube im Krieg  Stockinger 43 dertkampfs der beiden mächtigsten Gegner Europas‹ 30 steht dieser sachli­che Ton in merkwürdigem Kontrast. Es handelte sich eben um einen»Artikel aus einem früheren Jahrgange« 31 , der jetzt insofern Neuigkeits- und Nach­richtenwert beanspruchte, als die deutsche Bevölkerung auf mögliche Be­gegnungen und den gänzlich ungewohnten Anblick nicht-europäisch wir­kender feindlicher Soldaten vorbereitet werden sollte. Darüber kursierte ein tatsächliches oder eigens dafür erfundenes Gerücht, über das es im einlei­tenden Hinweis heißt: Allgemein war, gleich nach dem Eintreffen der französischen Kriegser­klärung, die Nachricht diesseits verbreitet, daß die berühmten, oder richtiger berüchtigten, afrikanischen Truppen den Krieg zuerst über die deutsche Grenze zu tragen bestimmt seien. Schon in der letzten Woche des Juli bestätigte sich denn auch dieselbe, da preußische Vorposten mit Turcos in Plänkeleien geriethen, bei denen es die letzteren vorzogen, den Rückzug zu nehmen. 32 Man hatte noch nicht viel zu sagen und versuchte deshalb, das Defizit inso­fern auszugleichen, als man mit Hintergrundinformationen über den Geg­ner aufwartete. Der Grad der Bedrohung wurde dadurch ebenso justiert wie die Größe des(prospektiven, jedenfalls erwarteten) Siegs. In diesem Zu­sammenhang wurden andere Artikel, wie etwa ein Beitrag über Straßburg aus dem Jahr 1859, 33 gar auf Leser*innen-Bitten hin neu aufgelegt. Man rechnete jetzt ganz besonders mit der Eroberung und Eingliederung des Elsass, so dass, so die Erwartung,»jener alte Artikel«»einen empfängliche­ren Boden« antreffen werde. 34 Aus einem solchen Vorgehen spricht das Selbstbewusstsein eines Organs, das für sich beanspruchte, seiner Zeit im­mer schon voraus gewesen zu sein, und das sich nun, 1870, von den politi­schen Ereignissen eingeholt sah. Indem das Familienblatt so vorging, mach­te es vor allem auf eines aufmerksam: Nicht die politische Ausrichtung der Gartenlaube wandelte sich im Lauf der Jahre seit 1853, sondern die politi­schen Verhältnisse änderten sich. Aus Sicht von Herausgeber und Redaktion näherten sie sich dem Familienblatt-Programm zunehmend an und lösten 1870/71 schließlich ein, wofür sich das Organ seit seiner Gründung einge­setzt hatte. Dass Die Gartenlaube mit Reichsgründung dann eigentlich obso­let würde, steht auf einem anderen Blatt; jedenfalls erreichten die Abonnen­tenzahlen 1875 ihren Höhepunkt, danach ging es kontinuierlich abwärts. 35 Für ihre Selbstpositionierung im Kriegsgeschehen nutzte die Gartenlau­be regelmäßig die mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegende Zeit der Befreiungskriege als Argument und historischen Referenzpunkt. Daran lässt sich ablesen, dass das Blatt gegenwärtiges Geschehen als geschichtlich gewachsen ansah und legitimierte. Auch ein Artikel über geheimdienstliche Aktivitäten Frankreichs in Deutschland um 1813 in Heft 33 von 1870 steht für diese Tendenz. 36 Von Beginn des Krieges an verstand sich die Gartenlau­be immer zugleich und in erster Linie als dessen Archivarin,(zeitgleiche)