44 Fontane Blätter 112 Dossier. Fortsetzung Historiographin und Quelle für die»künftige«(nachträglich deutende und einordnende) Geschichtsschreibung. 37 Erste Korrespondentenberichte schilderten dann die Sammlung und das Ausrücken der Truppen. Größtmögliches Lokalkolorit und Detailgenauigkeit sorgten dabei für Anschaulichkeit und Vergleichbarkeit. Die Botschaft lautete in etwa: So wie hier in Leipzig verabschieden liebende Frauen derzeit überall ihre Männer, Söhne und Brüder. 38 Dem Krieg sollte auf diesem Weg und auf diese Weise von Beginn an gelingen, was sein weiterer Verlauf und Ausgang allererst hervorbringen würde: die(deutsche) Nation mit ihren unterschiedlichen Landesteilen zu einen. In allen Regionen wurde einberufen, gemustert, eingestellt. Die Bewegung wurde als global empfunden, deutsche Auswanderer kehrten freiwillig zurück und meldeten sich zur Armee. 39 Parteien spielten keine Rolle mehr, 40 ebenso wenig Konfessionen. Korrespondent Friedrich Hoffmann schildert herzzerreißende Szenen bei(»über fünfzig«!) Nottrauungen»ohne Aufgebot« in Leipzig. Alles musste schnell gehen. Über Jahrhunderte hinweg scheinbar fest zementierte ideologische Kartenhäuser fielen binnen weniger Augenblicke in sich zusammen, 41 und gleich nach dem Segen ging es unmittelbar weiter zum Bahnhof. Mit diesen Hinweisen auf Truppenaushebungen in Leipzig eröffnete Friedrich Hoffmann eine frühe Serie Der letzte Krieg um den Rhein. 42 Die Grenze nach Frankreich wurde in dieser Serie erstmals in einem Korrespondentenbericht vom 11. August 1870 überschritten. 43 Dieser aber erreichte die Leser*innen der Gartenlaube erst in Heft Nr. 37, also Mitte September. Der Krieg beherrschte mittlerweile seit knapp zwei Monaten ihren Alltag. Diese zeitlichen Brüche in den Erlebenshorizonten von Autoren und Rezipient*innen sind nicht nur Fakt und im Nachhinein rekonstruierbar. Vielmehr schrieben sich die Irritationen, die sich daraus ergaben, in die Artikel selbst ein. Meine These dazu lautet: Die Metareferenz auf die Entstehungskontexte der jeweils vorliegenden Heftnummer wird zur neuen Regel – zur Regel der › Gartenlaube im Krieg‹. Vieles, was die Gartenlaube in diesen Wochen brachte,»geschieht«, wie es explizit heißt,»weniger darum, weil wir hoffen dürfen, unsere Leser mit demselben jetzt noch zu überraschen«. Es werde»der Vollständigkeit wegen« publiziert,»um in unseren Berichten und Bildern aus der so reich bewegten Gegenwart« nichts(oder nur wenig)»vermissen zu lassen«. Man traf auf kundige Leser*innen, rechnete jedenfalls mit ihnen – gerade dann, wenn grundsätzliche Fragen wie diejenige nach den Ursachen des Krieges angespielt wurden. 44 Auch in der Rubrik Blätter und Blüthen war man in den ersten Wochen des Krieges nicht unbedingt schneller. Jedenfalls nutzte man diese nicht(oder höchstens mittelfristig) für mehr Flexibilität. 45 Dass der Kriegseintritt des Familienblatts als überaus holprig wahrgenommen werden musste, war der Redaktion klar. Heft 34 von 1870 öffnete
Heft
(2021) 112
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