Die Gartenlaube im Krieg Stockinger 47 Korrespondent Corvin trifft am 2. August in einem Hotel in Bingen auf William Howard Russel,»den berühmten Correspondenten der London Times, mit dem ich manchen vergnügten Abend in Washington zugebracht hatte«. 65 Es folgt eine ausführliche Personenbeschreibung, die das Banale des stilistischen Details und der(männlichen) Eitelkeit nicht scheut. Die Gartenlaube bedient eben vielfältigste Interessen, so die implizite Botschaft. Auch im Krieg bleibt sie demnach Familienblatt und, in Teilen, Modemagazin. Ihre Weltläufigkeit erweist sich in Hinweisen, die zeigen sollen, dass sich ›der Deutsche‹ in Geschmacksfragen durchaus an internationalen Anregungen auszurichten versteht. Interessant ist die Passage auch deshalb, weil sie verdeutlicht, wie sich die embedded journalists selbst ausstatteten. Sie gaben sich einen soldatischen Anstrich, eine Uniform, ohne zivile Maßstäbe wie ›Eleganz‹, ›Schmuck‹ oder ›Schönheit‹ zu vernachlässigen: Herr Russell ist ein Mann von mittlerer Größe mit einem angenehmen, sorgfältig gepflegten Gesicht, welches durch einen etwas ergrauten militärischen Schnurrbart geschmückt ist. Er war ganz in helles Grau gekleidet und trug eine elegante Art von Blouse von demselben hellgrauen Wollenstoff und ein wollenes Hemd ohne Kragen und Halsbinde, was mit meinen Ansichten so vollkommen übereinstimmte, daß ich – wenn die schnellen Bewegungen der deutschen Armee dem Schneider Zeit lassen – mir einen ganz ähnlich zweckmäßigen Anzug machen lassen werde. 66 Interessant sind die Berichte auch, weil sie ausführlich darstellen, wie man sich fortbewegte – die Eisenbahn sorgte für die nötige Beweglichkeit und Flexibilität. Überhaupt habe sich das ganze Land durch deren»Bau« 67 nachhaltig verändert. Der technische Fortschritt ermöglichte den Krieg ebenso wie dessen Beobachtung. Allerdings blieb der Korrespondent regelmäßig auf die wohlwollende Unterstützung von Zufallsbegegnungen aus der Bauernschaft,»zwei tüchtige Pferde und einen guten Leiterwagen«, angewiesen. 68 Bei kontinuierlicher Lektüre entsteht der Eindruck, es handle sich bei den Ereignissen im Sommer 1870 um eine recht vergnügliche Angelegenheit, als mache Krieg regelrecht Spaß. Jedenfalls war immer ziemlich viel los:»In heiterster Laune kamen wir in Hüttersdorf an, wo ungefähr fünftausend Mann beisammenlagen.« 69 Oder:»Kurz, ich habe nie eine nassere, aber auch nie eine lustigere Partie gemacht«. 70 Der Leser wird stets aktiv in die Reise einbezogen, obgleich diese in seinem Fall eher in stabilitate erfolgt:»Nehmen Sie zunächst die Karte zur Hand und folgen Sie mir. Sie werden da ein gleichschenkeliges Eisenbahndreieck finden, dessen nördliche Spitze Saarbrücken ist[…].« 71 Es folgt ein Bericht über die Schlacht bei Spichern in der Nähe von Forbach bei Saarbrücken, wobei der embedded journalist hier aufs Hörensagen angewiesen ist. Formulierungen wie»Ueber den Anfang des Gefechts cursiren abweichende Erzählungen« oder
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(2021) 112
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