Die Gartenlaube im Krieg Stockinger 49 geht und im Anblick der vielen Toten unangemessen scheint. Wie kommt dieser Eindruck zustande? Was wollte man mit ihm erreichen? Aufschluss darüber findet sich gleich zu Beginn des dritten Teils von Corvins Bericht, datiert auf den 22. August und abgedruckt in Heft 37(also Mitte September). Weil die Berichte demnach zugleich die epitextuelle Binnenkommunikation zwischen Reporter und Verleger bzw. Herausgeber mit dokumentieren, wird klar: Es handelte sich um eine Vorgabe, die zu erfüllen war. Am 10. August erhielt Corvin, selbst schon auf dem Pferd sitzend, von Keil per Brief»Instructionen« für die weitere Berichterstattung. Er könne diese schon nachvollziehen, sagt er dazu; ihnen»zu genügen« werde aber kaum gelingen, denn:»[F]ür ›geschlossene Bilder und Schilderungen‹ hat man in dem sehr wilden Feldleben selten Muße«. 79 Dann wird die Erwiderung auf die Erwartungen aus Leipzig rasch drastischer – jedenfalls verglichen mit jenen Bildern, die Corvin bislang von den Schlachtfeldern gezeichnet hatte:»Umgeben von lärmenden Soldaten im Bivouac, ohne irgend einen vernünftigen Platz zum Schreiben, halbverhungert und durstig, ermüdet von körperlichen Strapazen, kann die elastische Natur nicht immer ihren Humor und ihre Gemüthlichkeit bewahren«, kurz:»Schilderungen, Charakteristiken« werde er unter diesen Umständen liefern,»abgerundete Artikel« aber nicht. 80 Die(implizite) Vorgabe, gleichsam ad usum Delphini zu berichten, um Frauen und Kinder ebenfalls mit zu unterhalten, die gemeinsame Lektüre in der Gartenlaube(wie diese die berühmte Titelvignette darstellt) also nicht zu gefährden oder kriegsbedingt zu unterbrechen, lief ins Leere; sie ging an den Realitäten vorbei. Die genauen redaktionellen Anweisungen kollidierten mit den Möglichkeiten der Kriegsberichterstattung. Dass erst jetzt die Schattenseiten des Krieges als bis ins Körperliche gehende Erfahrungen des Korrespondenten ans Licht kamen, ist bezeichnend. Als ebenso bemerkenswert aber möchte ich festhalten, dass die Redaktion hier nicht nachträglich eingegriffen und den Text entschärft, ihn etwa verharmlost oder idyllisiert hat. Das redaktionelle Kalkül dahinter? Meine These dazu: Letztendlich steigerten auch diese Einblicke in die Werkstatt des Zeitungsmachens beim zeitgenössischen Lesepublikum die Glaubwürdigkeit der Kriegsberichterstattung. Die epitextuelle Kommunikation wurde in den Bericht eingetragen, weil sie als ein brauchbares strategisches Instrument für die Neujustierung des Programms ›Die Gartenlaube im Krieg‹ galt bzw. erkannt und auch gleich genutzt wurde. Wenngleich der Korrespondent bis dato mit einer veritablen Gartenlauben- Schere im Kopf auf den Schlachtfeldern unterwegs gewesen war, fand(jedenfalls in dieser genannten Hinsicht) Zensur deshalb nicht länger statt. Dass sich die Lage insgesamt und so auch für die Gartenlauben-Kriegsberichterstatter zuspitzte, verdeutlicht der vierte Brief vom 13. September
Heft
(2021) 112
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