74 Fontane Blätter 112 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte liner Dichterschule bildeten. Unter ihnen waren Eduard Ferrand, Franz von Gaudy, Julius Mind ing und August Kopisch die weitaus besten; Talente, die sich denn auch, trotz allem Wandel der Zeiten, bis diese Stund e behauptet haben. Der am ehesten Zurückg etretene – Ferrand; er starb sehr früh – war vielleicht am hervorragendsten.« 34 Sich ihren Einfluss auf den Jugendlichen aus der Provinz zu vergegenwärtigen war dem Autobiographen Fontane wichtiger als eine Rekonstruktion historischer Tatsachen, über die er leicht Genaueres hätte ermitteln können, wenn das seine Absicht gewesen wäre. Wenn er jetzt ungesagt ließ, dass Ferrand am Alkoh olismus zugrunde gegangen und Mind ing durch eigene Hand gestorben war, so deshalb, weil ihr Ende nichts mit dem zu tun hatte, was hier aus der Erinnerung heraufbeschworen wurde, nämlich wie er, parallel zu seiner Apothekerlehre bei Wilhelm Rose, bei den»Poeten des Berliner Figaro« in die Dichterlehre gegangen war, socially distanced gewissermaßen. Dass sich der Autobiograph dann die poetische Lizenz nahm, seine Gesellenprüfung und sein literarisches Debüt im Figaro auf den gleichen Tag fallenzu lassen, war insofern nur folgerichtig, obwohl, historisch betrachtet, nicht ganz korrekt. Mit dem Abdruck seiner Novelle Geschwisterliebe war bereits am 14. Dezember 1839 begonnen worden, während das Examen erst am 9. Januar 1840 stattfand, nachdem er zwischendurch, am 30. Dezember, 20 Jahre alt geworden war. Bis Mitte März erschienen dann noch zwölf lyrische Gedichte, womit Fontanes Beziehung zum Berliner Figaro ihr Ende fand. Ungeachtet des Meilensteins, den eine erste Publikation(nicht nur für die Dichterlaufb ahn!) darstellt, gilt es daher festzuhalten, dass die Lektüre des Blattes in den Jahren vor 1839 langfristig sehr viel prägender für ihn gewesen ist als die kurzlebige Genugtuung, sich in dessen Spalten gedruckt zu sehen. Von seinen poetischen Gesellenstücken hat sich der Dichter nämlich schon bald distanziert 35 , noch auch hat er sie später in seine Werkausgaben aufgenommen. Was Fontane dagegen nicht dem Vergessen anheimgeben wollte, war die literarische Schulung, die er dem Studium in Konditorei und Café verdankte. Das war der Grund, weshalb er im Laufe der Jahre, ohne sich ihnen je zuzurechnen, wiederholt auf die»Poeten des Berliner Figaro« zu sprechen gekommen ist. Was es mit denen aber eigentlich auf sich hatte und worin speziell ihre Bedeutung für Fontane und seine dichterische Entwicklung lag, muss einem künftigen Beitrag vorbehalten bleiben.
Heft
(2021) 112
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