158 Fontane Blätter 112 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte der auch Sohn Theodor und seine Frau zugegen waren.»Die Unterhaltung bei Tisch war eine prickelnde«, schreibt Hauptmann.»Der alte Herr liebte eine gewisse Pikanterie, die sich an diesem Abend in einem lustigen Geplänkel mit der jungen und hübschen Frau auslebte. Gewagteste Zweideutigkeiten indes – hier trat die französische Abkunft des Dichters zutage – gingen unter in einem bezaubernden Fluss seiner meist übermütigen Konversation.« 63 Mit anderen Worten: Fontane flirtete mit der Schwiegertochter, und auf so etwas ließ sich Martha mit ihm nicht ein. Das heißt aber nicht, dass sie für solche Angebote zu spröde oder zu dumm war. Im Gegenteil, die an ihr bemerkte – und getadelte – Neigung für »Techtelmechtel« und»Liaisons« zeigt sie in dieser Hinsicht sogar besonders zugänglich. Mit Fontane jedoch wollte sie so nicht verkehren. Wenn man nicht heucheln will, bedarf es dafür einer natürlichen Sympathie, die auch Alters- und Bildungsgrenzen aufhebt, und die lag bei ihr nicht vor. Weil sie von ihm aber nichts brauchte, nichts wünschte, war sie auch nicht weiter bemüht, mit ihm»schön zu tun«. Er hingegen, gewohnt, bei Frauen und auch zumal jungen Frauen gut anzukommen, fühlte sich abgewiesen und lastete ihr, wie schon im Riesengebirge, das Fehlen von»Liebenswürdigkeit« an. Hätte es Stoff für einen andersartigen Austausch mit ihr gegeben, wäre vielleicht auch ein neutrales Verhältnis möglich geworden. So aber, ohne diesen Stoff, kamen Gespräche immer wieder nicht recht zustande, und so war eben dies der Grund für Fontanes zunehmende Verärgerung. Wie groß die Distanz im Sommer 1890 schon war, sieht man daran, dass die Fontanes trotz Wohnens im selben Haus von Marthas Verlobung aus der Zeitung erfuhren. Gerade am dritten Todestag von George stieß Fontane auf die Anzeige, dass sich Martha mit einem Regierungsassessor von Neefe und Obischau in Berlin verlobt hatte.»Höchst erwünscht für uns«, schreibt er nach Karlsruhe, wo die Münsteraner inzwischen wohnten, »aber in der Wahl des Tages etwas sonderbar«. Kennengelernt hat Martha den zehn Jahre älteren Juristen sicherlich über ihren Vater, dessen Tod dann aber auch einen Aufschub der Verlobung erzwang. Drei Monate waren dafür das Mindeste und danach drei Monate bis zur Hochzeit ebenfalls, sodass, wenn diese noch für 1890 geplant war, nur der September für die Verlobung blieb. So wird sich Martha ganz bewusst für Georges Todestag als den Tag für die Veröffentlichung entschieden haben. Dies jedoch keineswegs in verletzender Absicht. Vielmehr sollte es wohl besagen, sie denke noch an ihn, habe ihn nicht vergessen, wolle nach drei Jahren Trauer nun aber wie im Einvernehmen mit ihm eine neue Ehe eingehen.»Wenn die Todten noch lächeln könnten, würde George gelächelt haben«, fügt Fontane seinem Befremden hinzu. 64 So ironisch er das fraglos meinte –»Wozu Frauen doch imstande sind!« –, sie hätte wohl eher an ein Lächeln gedacht, das bedeutete: Ich wünsche dir Glück.
Heft
(2021) 112
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