Heft 
(2021) 112
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Pekinger Fontane-Labor  Wu 173 talen Roman Der Mann ohne Eigenschaften. Diese Übersetzung löste ein wahres Musil-Fieber aus und begründete Zhang Rongchangs Renommee in der chinesischen Germanistik. Man nahm nun zur Kenntnis, dass Zhang nicht nur Robert Musil, sondern auch Theodor Fontane ins Chinesische übersetzt hatte und wendete sich auch diesem Autor zu. In einer Bespre­chung wurden Fontanes Werke mit dem großen chinesischen Roman Der Traum der roten Kammer verglichen 13 und damit stark aufgewertet. Die ge­scheiterte Liebesgeschichte zwischen Corinna Schmidt und Leopold Treibel in Frau Jenny Treibel erinnerte den Rezensenten, den chinesischen Schrift­steller Yang Dong, der Fontanes Werke besonders schätzte, an die bekannte Liebesgeschichte von Jia Baoyu und dessen Cousine Lin Daiyu in Cao Xue­qings großem Roman. 14 Diese Parallelisierung der Übersetzungen aus dem Deutschen mit kanonisierten chinesischen Texten ist eine typische Wer­tungsstrategie der frühen chinesischen Germanistik: Man suchte Ver­gleichspunkte, die die Befassung mit den deutschen Texten wert- und sinn­voll erscheinen ließen. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts schaffte es Fontane schließlich an die chinesischen Schulen. Im Jahr 1992 wurde Effi Briest, in diesem Jahr wie­der aufgelegt, zusammen mit Frau Jenny Treibel den chinesischen Mittel­schülern in einem Übersichtswerk vorgelegt, zusammengefasst und inter­pretiert von dem Germanisten der Fudan Universität Mi Shangzhi. 15 Auch der Nobelpreisträger und Fontane-Bewunderer Günter Grass trug mit dem in China mehrfach verlegten Roman Ein weites Feld(chinesisch 2005, 2008) sowie dem Erzählungsband Mein Jahrhundert(chinesisch 2000, 2001, 2004) zu einer vertieften Kenntnis der Stellung Fontanes in der deutschen Litera­tur bei. Schließlich wurden Fontanes Romane Irrungen, Wirrungen und Stine im Jahr 2013 von der Germanistin Zhao Leilian neu ins Chinesische übersetzt. 16 So viel zunächst zur Verbreitung von Fontanes Texten in China. Doch wie sieht es mit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit seinen Werken aus? 1.4 Zur neueren wissenschaftlichen Beschäftigung mit Fontanes Romanen in China Der Chinese in Effi Briest stellt ein Lieblingsthema in der frühen chinesi­schen Fontane-Forschung dar. 17 Wie sehr oft in der nichtdeutschen Germa­nistik bildet auch hier das Auftreten einer ausländischen Figur den Anlass für das ausländische, in diesem Fall chinesische Interesse: Man meint in ei­nem fremdsprachigen Text eine Repräsentanz des Eigenen zu erkennen und widmet sich, davon ausgehend, auch dem zugehörigen Textumfeld. Oftmals ist die transkulturelle Literaturrezeption ein kontingenter, kein systema­tischer Prozess. Wie bereits erwähnt, beförderten insbesondere auch die