180 Fontane Blätter 112 Labor weil sich alle Romanfiguren immerzu belauern und beobachten. So trat Schmidt»ans Fenster, hob die Jalousien ein wenig und sah, wie Corinna, nachdem die Commerzienräthin ihren Sitz wieder eingenommen hatte, den Wagenschlag ins Schloß warf«(S. 15). Auch Treibels»Diner« erweist sich unter dieser Leseanweisung als performative Selbstinszenierung der Textorganisation und-beleuchtung. Vor dem»Diner«»beobachtete« die Kommerzienrätin»von dem Fenster ihres Boudoirs aus all diese Vorbereitungen[...].«(S. 17) Auch die kulinarische Szene lässt sich als Prozess des Textgenusses und damit als verdeckter poetologischer Hinweis entziffern: Das Eßzimmer entsprach genau dem vorgelegenen Empfangszimmer und hatte den Blick auf den großen, parkartigen Hintergarten mit plätscherndem Springbrunnen, ganz in der Nähe des Hauses; eine kleine Kugel stieg auf dem Wasserstrahl auf und ab, und auf dem Querholz einer zur Seite stehenden Stange saß ein Kakadu und sah, mit dem bekannten Auge voll Tiefsinn, abwechselnd auf den Strahl mit der balancirenden Kugel und dann wieder in den Eßsaal, dessen oberes Schiebefenster, der Ventilation halber, etwas herabgelassen war. Der Kronleuchter brannte schon, aber die niedrig geschraubten Flämmchen waren in der Nachmittagssonne kaum sichtbar und führten ihr schwaches Vorleben nur deshalb, weil der Commerzienrath, um ihn selbst sprechen zu lassen, nicht liebte, ›durch Manipulationen im Laternenansteckerstil in seiner Dinerstimmung gestört zu werden.‹ Auch der bei der Gelegenheit hörbar werdende kleine Puff, den er gern als ›moderirten Salutschuß‹ bezeichnete, konnte seine Gesammtstellung zu der Frage nicht ändern.(S. 26) Mit dem Motto»Manipulationen im Laternenansteckerstil«(S. 26) kündigt Fontanes Erzähler ironisch sein poetologisches Programm der durchgehend bewussten Verschleierung und Beleuchtung an. Unser Treibel will allerdings die Enthüllung des im Subtext eingeflochtenen»Skandal[s]«(S. 169, 173f.) der unehelichen Kinder – übrigens legen philologische Textbelege nahe, dass Otto Treibel, der ältere Sohn der Treibels, ebenfalls ein illegitimes Kind von Wilibald Schmidt ist – nicht wahrnehmen und beharrlich bei »seiner Gesammtstellung zu der Frage« bleiben, obwohl der»Puff«, Signal der Enthüllung und Offenlegung des Versteckten,»bei der Gelegenheit hörbar«(S. 26) ist. Die detailliert realistischen Beschreibungen an der Textoberfläche dienen als Anspielungen auf den Subtext. Die»balancirende[] Kugel« im»Hintergarten«(S. 26) pendelt zwischen Verschleierung und Offenlegung. Als ähnliche poetologische Metapher lässt sich auch die Wette deuten, die Schmidts Tochter Corinna dem englischen Gast Nelson, der übrigens eigentlich als Code des unehelichen Sohns fungiert, vorschlägt, um ihre weibliche Qualität durch ihre vorzüglichen Fähigkeiten als Kunststopferin unter Beweis zu stellen:
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(2021) 112
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