Heft 
(2021) 112
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Pekinger Fontane-Labor  Wu 181 Sehen Sie, hier ist mein Freund Leopold Treibel und trägt, wie Sie sehen, einen untadeligen Rock mit einer doppelten Knopfreihe, und auch wirk­lich zugeknöpft, ganz wie es sich für einen Gentleman und einen Berliner Commerzienrathssohn geziemt. Und ich taxire den Rock auf wenigstens hundert Mark.[] Doch lassen wir die Preisfrage. Jedenfalls ein feiner Rock, prima. Und nun, wenn wir aufstehen, Mr. Nelson, und die Cigar­ren herumgereicht werden ich denke, Sie rauchen doch, werde ich Sie um Ihre Cigarre bitten und meinem Freunde Leopold Treibel ein Loch in den Rock brennen, hier gerade, wo sein Herz sitzt, und dann werd ich den Rock in einer Droschke mit nach Hause nehmen, und morgen um dieselbe Zeit wollen wir uns hier im Garten wieder versammeln und um das Bassin herum Stühle stellen, wie bei einer Aufführung. Und der Ka­kadu kann auch dabei sein. Und dann werd ich auftreten wie eine Künst­lerin, die ich in der That auch bin, und werde den Rock herumgehen las­sen, und wenn Sie, dear Mr. Nelson, dann noch imstande sind, die Stelle zu finden, wo das Loch war, so will ich Ihnen einen Kuß geben und Ihnen als Sklavin nach Liverpool hin folgen. Aber es wird nicht dazu kommen. Soll ich sagen leider? Ich habe zwei Medaillen als Kunststopferin gewon­nen, und Sie werden die Stelle sicherlich nicht finden...(S. 40f., Hervorhe­bung im Original) Die derart gekonnt gestopfte Textur des Rocks lässt sich als Bild für die Webart von Fontanes Roman deuten, der ebenso kunstvoll die in die Herzen gebrannten Löcher seiner Protagonisten zu verbergen scheint. Die provo­kative Aufforderung Corinnas»und Sie werden die Stelle sicherlich nicht finden«(S. 41) ließe sich dann als Aufforderung an die Leser verstehen, die unter der glatten Oberfläche verborgenen Tiefenstrukturen in diesem Fall de facto die uneheliche Herkunft Leopolds aufzudecken und als Motivati­onszentrum für die Figuren zu entschlüsseln. Im Blick auf das Textverfahren der Selbstverschleierung und-enthül­lung lässt sich auch der Erzählerkommentar über die Nebenfigur Imanuel Schultze als provokanter Hinweis an den Leser deuten, die zwischen den Zeilen des Textes verborgenen Geheimnisse zu enthüllen: Der hats hinter den Ohren und ist ein Schlieker. Er grient immer und gibt sich das Ansehen, als ob er dem Bilde zu Sais irgend wie und wo unter den Schleier geguckt hätte, wovon er weit ab ist. Denn er löst nicht mal das Räthsel von seiner eigenen Frau, an der manches verschleierter oder auch nicht verschleierter sein soll, als ihm, dem Ehesponsen, lieb sein kann.(S. 69) Nachdem die Verbindung zwischen Leopold und Corinna glücklich gelöst ist und diese den ihr angemessenen Marcell Wedderkopp geheiratet hat, Mes­alliance und Inzest also abgewendet sind und mehr noch: der Skandal des Ehebruchs verdeckt bleibt und alle komödienhaft glücklich geworden sind, bleiben ihr Vater, Treibel und der Opersänger Adolar Krola als letzte Gäste