Heft 
(2021) 112
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182 Fontane Blätter 112 Labor der Hochzeitsfeier zurück. In dieser Abschlussszene bündeln sich die meis­terhaft inszenierten Verdeckungs- und Enthüllungsstrukturen. Schmidt bit­tet den Opernsänger einerseits um einen letzten Vortrag des Liedes, das er einst seiner Jugendliebe Jenny gewidmet hat, und ruft damit noch einmal das verdeckte Geheimnis auf. In einer abermals intertextuellen Referenz Schmidts, diesmal auf die überlieferten letzten Worte Goethes, wandelt sich die Bedeutung der Lichtmetaphorik, die sich auf einer anderen Ebene als provokativer Hohn an eine unaufmerksame Leserschaft bzw. an einen unge­nauen Philologen deuten lässt: Und nun komm, Krola. ›Mehr Licht‹ das war damals ein großes Wort unseres Olympiers; aber wir bedürfen seiner nicht mehr, wenigstens hier nicht, hier sind Lichter die Hülle und Fülle. Komm. Ich möchte die­sen Tag als ein Ehrenmann beschließen und in Freundschaft mit aller Welt und nicht zum wenigsten mit Dir, mit Adolar Krola.(S. 221) Man erinnere sich an»die niedrig geschraubten Flämmchen«, die auf dem Diner Treibels»ihr schwaches Vorleben« führen und»in der Nachmittags­sonne kaum sichtbar«(S. 26) sind. Auf der Hochzeit, also in der höchsten Zeit, sind hier»Lichter die Hülle und Fülle«(S. 221), die die im Text verbor­genen Rätsel beleuchten und enthüllen sollten. Trotz der wiederholten, stärksten Beleuchtung sowie der Durchsichtigkeit, die an eine Glasschale erinnert, ist es Wilibald Schmidt für die gescheiterte»Wissenschaft« (S. 222) gelungen, das Gesicht hinter der Goldmaske»Ehrenmann«(S. 221) zu verbergen, wobei der Text abschließend noch einmal seine zentrale In­formation doppelbödig verkündet:»Für mich persönlich steht es fest, Natur ist Sittlichkeit und überhaupt die Hauptsache. Geld ist Unsinn, Wissen­schaft ist Unsinn, alles ist Unsinn. Professor auch.«(S. 223) Der Text rät dem Philologen ausdrücklich zu einer»Archäolog[ie]« (S. 204, 205, 209). Die Fontane-Werkstatt in Peking will in ihrem Labor un­ter anderem weitere Belege für deutsche Kolleginnen und Kollegen sam­meln und sich an dieser modernen internationalen Expedition zur archäo­logischen Ausgrabung der verschleierten griechischen»Goldmasken« (S. 73f. usw.) beteiligen. Der Text liefert, so unsere vorläufigen Forschungs­ergebnisse, noch weit mehr einschlägige philologische Belege für die im Subtext verschleierte»Hauptsache«(S. 223): den Skandal der als»Sittlich­keit« ausgegebenen(sexuellen)»Natur«(S. 223) in der preußischen Stände­gesellschaft am Beispiel der verdeckten Ehebruch-Fälle in der Treibel-Fa­milie. Der Roman schließt mit einer versteckten, typisch Fontaneschen Publikums- und Wissenschaftlerbeschimpfung, die im Zeichen der»Lich­ter die Hülle und Fülle«(S. 222) im Text deutlich zu spüren ist. Fast hinter jedem Ausdruck, jedem Bild und jeder Äußerung lässt sich ein verdecktes Indiz sehen. Diese, wenn man so will, ›paranoide‹ Form des Lesens ist in Fontanes Texten angelegt. Der Leser ist aufgefordert, als»Be­leuchtungskünstler ersten Ranges«(S. 136) unter die Textoberfläche zu