Fontane und das Boulevardtheater Parr 79 Lustspiel applizierend – am Ende des Romans noch einmal explizit thematisiert wird.»Diese Treibelei«, so Wilibald Schmidt, war ein Irrthum, ein ›Schritt vom Wege‹, wie jetzt, wie Du wissen wirst, auch ein Lustspiel heißt, noch dazu von einem Kammergerichtsrath. Das Kammergericht, Gott sei Dank, war immer literarisch. Das Literarische macht frei … Jetzt hast Du das Richtige wiedergefunden und dich selbst dazu … 67 Eine vermittelnde Position von ›idealem‹ und ›kalkülhaft-realistischem‹ Handeln wie für Corinna gibt es dagegen für die Generation von Jenny Treibel und Wilibald Schmidt nicht. Im Gegenteil. Fontane macht diese Position unmöglich, indem er den vermeintlichen Idealismus von Jenny ironisch entlarvt, sodass ›echter‹(Wilibald Schmidt, Marcell und zum Teil Corinna) und ›falscher Idealismus‹ einander gegenüberstehen. Dazu bedient Fontane sich unter anderem der zunächst einmal metaphorischen Rede vom ›Höheren‹ als eines semantischen Tricksters, der zum einen tendenziell metonymisch im Sinne von ideal-ästhetisch verwendet wird, zum anderen ebenso metonymisch, ganz realistisch sozialen Aufstieg und Geld meint und gerade dann benutzt wird, wenn diese Ambivalenz zwischen beiden offengehalten werden soll. Zwei Beispiele: Zu Beginn des Romans verkennt Jenny Treibel Corinna noch als ›reine Idealistin‹ und ermahnt sie:»Nein, Corinna, gib den Sinn, der sich nach oben richtet, nicht auf, jenen Sinn, der von dorther allein das Heil erwartet.« 68 In Bezug auf Jennys Sohn Leopold vergisst Corinna diesen Blick nach ›oben‹ dann aber keinen Moment, nur hat dies nicht mehr nur mit der von Jenny gemeinten ›Höhe‹ idealer Bildung zu tun. Und beim ›Männergespräch‹ im Anschluss an das Diner in seinem Hause bekennt Treibel: »[…] Sehen Sie, Goldammer, jede Kunstrichtung ist gut, weil jede das Ideal im Auge hat. Und das Ideal ist die Hauptsache, soviel weiß ich nach gerade von meiner Frau. Aber das Idealste bleibt doch immer eine Soubrette.«[...] »Und Protegé von wem?« Goldammer schwieg. »Ah, ich verstehe. Obersphäre. Je höher hinauf, je näher am Ideal.[…]« 69 Die ambivalente, einerseits idealistische, andererseits ökonomisch-realistische Metonymisierung der ›Höhe‹ übernimmt in Fontanes Roman die Funktion der von Baßler beschriebenen Kippfigur, nur dass hier das metaphorische Element am Anfang steht und im Verlauf des Romans immer wieder sowohl in Richtung ökonomische und gesellschaftlich-hierarchische ›Höhe‹ als auch in Richtung ›ideale Bildung und Kunst‹ re-metonymisiert wird. Das führt zu dem Effekt, dass die Kippfigur immer wieder aufs Neue durchgespielt wird.
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(2022) 113
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