Heft 
(2022) 113
Einzelbild herunterladen

106 Fontane Blätter 113 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Botho mit soldatischer Bestimmtheit aufgefordert:»Ich erwarte Dich 1 Uhr bei Hiller.« 16 Vorgesehen ist an beiden Tischen, dieses späte Frühstück üppig ausfallen zu lassen.»Hummer, dann Rumpsteak«, schlägt Waldemar Gold­schmidt seiner Susanna vor, die»einen Bärenhunger« 17 bekundet. Und kaum weniger hungrig ist offenbar auch Bothos Onkel.»Der Hummer war noch nicht gekommen«, bemerkt der Erzähler:»Voll Unruhe nahm der alte Osten eins der Brötchen aus dem Korb[...].« 18 Sieht man, wie gesagt, einmal ab von der zeitlichen Verschiebung, dann erweisen sich beide Romane in dieser Szene bis in Details hinein miteinander verkoppelt. Während die Aufmerk­samkeit des Erzählers hier dem jüdischen Rechtsgelehrten und seiner Ge­liebten gilt, gehört sie dort dem alten»Junker aus der Provinz« mit seinen Begleitern. Worüber Waldemar und Susanna sprechen, spielt in unserem Zusammenhang keine Rolle. Und auch das Gespräch zwischen Baron Osten, Botho und Wedell braucht hier nicht ausführlich rekapituliert zu werden. Es geht um Botho, der seine Zeit, so der Onkel,»mit einer kleinen Bourgeoise« 19 verplempert, während die Familie mit wachsender Ungeduld darauf wartet, dass er sich endlich im Hinblick auf Käthe von Sellenthin erklärt. Das kleine Beispiel rund ums Restaurant Hiller zeigt, wie eng Gabriele Tergits Roman Effingers in einigen Passagen verflochten ist mit Fontanes Irrungen, Wirrungen. Und diese Anlehnung wird dort vollends offenkun­dig, wo es um Botho von Rienäckers und Karl Effingers Entscheidung geht, ihr Liebesverhältnis zur Schneiderin Käte Winkel bzw. zur»Schneidermam­sell« 20 Lene Nimptsch zu beenden. Für den in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Botho ist Käthe von Sellenthin mehr als eine standesgemäße Eheschließung, sie ist für ihn eine»glänzende Parthie« 21 . Und auch der auf­strebende Industrielle Karl Effinger darf sich beglückwünschen, mit der Bankierstochter Annette Oppner»eine so feine Partie« 22 machen zu können. Fontanes Bezeichnung»Schneidermamsell« für seine eigene Figur täuscht leicht darüber hinweg, dass es sich bei Lene Nimptsch um eine aus­gebildete Schneiderin, ja Kunststickerin handeln muss, die offenbar auch zur Zufriedenheit anspruchsvoller Kundschaft zu nähen versteht. Von Zeit zu Zeit muss sie deshalb in die Stadt.»›Ich muß heut in die Stadt, Mutter,‹ sagte Lene. ›Goldstein hat mir geschrieben. Er will mit mir über ein Muster sprechen, das in die Wäsche der Waldeck´schen Prinzessin eingestickt wer­den soll.« 23 Zum Namen»Goldstein« findet sich im Anhang folgender Hin­weis:»In der Berliner Textilindustrie spielten jüdische Fabrikanten und Kaufleute eine wichtige Rolle.« 24 Wie aber bereits den ersten Kapiteln des Romans zu entnehmen ist, arbeitet Lene vorrangig daheim in der Dörrschen Gärtnerei.»Ein Glück, daß ich Arbeit habe; je mehr Arbeit, desto besser« 25 , bemerkt sie zu Frau Dörr, nachdem Botho brieflich sein Kommen auf den nächsten Tag verschoben hat. Und zu dieser Arbeit gehört eben auch das Bügeln, die Arbeit am»Plättbrett« 26 , hinter dem»der kleine Plättofen glüh-