Heft 
(2022) 113
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Fontane und Gabriele Tergit  Sill 111 mit einem blonden, starken Schnurrbart«, stets gekleidet»nach der Mode der Zeit« 69 . Was ihm aber in erster Linie hilft, ist sein unbedingter Auf­stiegswille. Schon seine Mutter daheim in Kragsheim weiß, dass Karl»mehr für die Welt« 70 ist. Und so nutzt er die erste sich bietende Gelegenheit, um sich bei Emmanuel Oppner selbstbewusst und sicher zu präsentieren:»Karl Effinger betrat rasch das Zimmer. Er erfüllte sofort den Raum.« 71 Botho von Rienäcker braucht nicht zu werben um Käthe von Sellenthin, er muss nur wollen. Karl dagegen muss einen guten Eindruck hinterlassen. Und so war­tet er bei seiner ersten Visite in Oppners Villa,»die feinledernen Glacés an den Händen und den Zylinder auf den Knien« 72 , bis er empfangen wird. Nun aber legt er, der aufstrebende Schraubenfabrikant, eine Beflissenheit an den Tag, die auch Annettes Bruder Theodor nicht entgeht und die dieser später spöttisch zu kommentieren weiß:»[...] und nun kommt noch dieser Effinger ins Haus, die Brust geschwellt vom Glanz seines verzinkten Drah­tes, und schlägt die Hacken zusammen.« 73 Dabei geht es Karl gar nicht so sehr um die schöne Annette, sondern um die mit ihr verbundene Möglich­keit des sozialen Aufstiegs: Karl Effinger aber war in die Oppnersche Tochter verliebt, ohne sie gese­hen zu haben. Ein Mädchen aus solcher Umgebung mußte reizvoll sein. Er sah ein Traumbild vor sich. Eine elegante Frau, im Einspänner fah­rend, in Spitzen und weiche Pelze gehüllt, die Füße in anmutigen Stiefe­letten gekreuzt, den kleinen Spitzensonnenschirm über sich, eine La­France-Rose an der Brust. / Er sah eine große, elegante Wohnung vor sich, eine seelenvolle Frau, die abends am Flügel saß und Chopin spielte, während das Hauskleid um sie floß und ein Windhund sich elegant am Flügel lagerte. 74 Die Dinge nehmen den gewünschten Verlauf, und Karl sieht sich schon bald als»ein rechter Glückspilz« 75 . Doch bereits bei der mit allem Pomp gefeier­ten Verlobung muss er, noch ohne zu begreifen, die Erfahrung machen, dass ihm seine Herkunft als untilgbarer Makel anhaftet.»Was sind eigent­lich die Eltern von deinem Bräutigam?« wird Annette gefragt: Sie war da, die gefürchtete Frage.[...] ›Mein Schwiegervater ist Uhrenfa­brikant in einem süddeutschen Ort und in der Schweiz./ ›Aber..., sagte Karl, der etwas dahinterstand. Doch da wurde er zum erstenmal im Le­ben von Annette angestoßen, und er schwieg. Er begriff nur nicht, war­um sie das tat. Sie aber wußte es. Man heiratete nicht den Sohn eines Uhrmachers. Er hatte Uhrenfabrikant zu sein. Es war die neue Zeit, die sprach, als Annette[...] zum ersten Male hochstapelte. 76 Anders als Botho wird Karl niemals so ganz dazugehören. Mit Theodor Oppners Ansinnen, seine Geliebte Wanda Pybschewska heiraten zu wollen, tritt ein anderer Berliner Roman Theodor Fontanes in den Vordergrund: der zwischen 1881 und 1888 entstandene kleine Roman Stine(1890). Freilich sind bei Gabriele Tergit am Ende dieser Episode keine