Heft 
(2022) 113
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154 Fontane Blätter 113 Rezensionen Der poetologische Begriff der Vorgeschichte ist spätestens seit Eberhard Lämmerts Bauformen des Erzählens(1955) präsent; Peter Pütz hat ihn kris­tallklar als Technik dramatischer Spannung(1970) identifiziert, wodurch Zeit im Drama reguliert wird. Bald darauf legte Dietrich Weber eine Theorie der analytischen Erzählung(1975) vor, und schließlich führte Gérard Genette den Begriff der Analepse in Narrative Discourse(1980) ein, den auch Corne­ lia Zumbusch leitmotivisch verwendet, wenn es gilt, nach Lasswellschem Fragemuster anzuzeigen, wie, wann und wozu(vgl. S. 16) Vorgeschichten in Epos und Roman mitspielen und was sie bewirken. Aber ›Vorgeschichte‹ soll eben auch ›Prähistorie‹ bedeuten, Ur- und Frühgeschichte , deren Begründung im 19. Jahrhundert stattfand und in vielfältiger Weise bei der literarischen Konzipierung von Vergangenheit im Plusquamperfekt mitwirkte, selbst aber insofern ›literaturfern‹ ist, als sie ihren ›dunklen‹ Gegenstand aus vorliterarischen Quellen und bloß aus­gegrabenen Dingen eher ›ahnend‹ gewinnen muss(Dinge, die freilich schnell Zeichenwert erhalten und also auch ›erzählen‹ können). So bündelt Zumbuschs Arbeit erzähltechnische, archäologische und epistemologi­sche Erkenntnisinteressen. Und noch etwas kommt hinzu:»Vorgeschichten sind Inkubatoren der Fik­tion«(S. 3), sie klären also nicht nur auf, sondern befördern das ›Als ob‹, sie stoßen von außen etwas an, geben ›Anstoß‹. Mehr noch, ›Vorgeschichte‹ könnte sogar jenen Bereich einkreisen, der aus der Hauptgeschichte ausge­klammert bleiben muss, weil in ihr zur Sprache kommt, was nicht erzählt werden darf und deshalb»keine Geschichte ist«, oder genauer, was nicht ver­schriftlicht wurde und nur ›mündlich‹ kursierte. Ob sich das belegen lässt? Vorgeschichten als Rückgriffe im Gang der Erzählung geben der Ge­schichte ihre Interpunktion: Sie justieren ihren Anfang, worauf Studien über mehrfache Anfänge vieler Romane(Geppert 1994, Lampart 2002) schon hingewiesen haben; sie stellen Weichen für das seis glückliche, seis katastrophale Ende, und sie rhythmisieren durch ihre Platzierung an unter­schiedlichen Stellen der Erzählung deren Gang und Atem. Doch Vorge­schichten dienen nicht nur der Geschichte, sondern verändern sie auch. Prähistorisches klingt teils rätselhaft, teils authentisch und reizt allerlei ›Medien‹ zu raunender Kunde. Es meint ein Weitentferntes, das infolge mannigfacher ›Faltungen‹ auch wieder nah heranrückt und mit dem Unbe­wussten innig verschlungen ist. Als Urgeschichte beansprucht sie ein gera­dezu aristotelisches Wissen vom Anfang, das von den unweigerlichen Auf­tritten der Vorgeschichte prompt ›überholt‹ wird. All dem, was nicht wenig ist, wendet sich Zumbuschs Arbeit energisch zu. Nach einleitenden Bemerkungen(»Was keine Geschichte ist«) rücken unterm Stichwort Prähistorie die»Vorgeschichte und ihre Disziplinen« in den Blick: Die Übersicht beginnt mit Schlözers Verbannung der Vorge­schichte aus der Historiographie, weil es für diese dunkle ›Unzeit‹ kaum