24 Fontane Blätter 114 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte »Na, das freut mich. Und Agnes, sagt Ihr, heißt sie. Is ein hübsches Kind.« »Joa, det is se. Uns is ook en gaudes Kind; sie weent gliks un is ümmer so patschlich mit ehre lütten Hänn´. Sünne sinn ümmer so.« »Ja, das is richtig. Aber Ihr müßt aufpassen, sonst habt Ihr ´nen Urenkel, Ihr wißt nicht wie. Na gu´n Abend, Buschen.« »´n Abend, jnäd´ger Herr.«(23/267 f.) Im Kontrast zu den Konversationsritualen des adlig-bürgerlichen Milieus lebt die Begegnungsszene von der mimetischen Wiedergabe des märkischen Dialekts, der Dubslav – anders als dem Leser – vertraut ist, dem er sich aber nicht anpasst. Der verschriftlichte Dialekt markiert deutlich das soziale Gefälle, das als solches in den vermeintlich unverfänglichen Fragen nach dem, was man da mit sich trägt und wen man da bei sich hat, noch auf ganz andere Weise zum Ausdruck kommt. Beide Fragen richten sich auf Illegales bzw. Illegitimes, auf Randbereiche der sozialen Ordnung, zunächst auf eine Handlung, das Holzfällen, dann auf die Herkunft, auf die ungeklärte väterliche Abstammung des aus dem Wald hervortretenden Kindes. Beides hängt mit einer vernachlässigten Bedeutung der zentralen genealogischen Metapher zusammen: ›abstammen‹ muss nicht zwangsläufig auf die Ordnung eines Stammbaums verweisen, sondern hat etymologisch auch etwas mit dem ›abstämmen‹ zu tun, für das der Grimm noch ein Lemma bereitstellt. Das physikalische Fällen und Fallen»evoziert als Abwärtsbewegung[auch] die Assoziation eines Wertunterschieds« 22 und leitet zur kulturellen Semantik eines sozialen Gefälles oder, noch elementarer, des moralischen Fallens über. »Bruchholz« sammeln wäre legal, das Holzschlagen in der Ferne klingt aber verdächtig und müsste die Obrigkeit auf den Plan rufen – ein Konfliktstoff, der über fünfzig Jahre zuvor bereits Droste-Hülshoffs Judenbuche (1842) grundiert hatte und auch dort mit dem beunruhigenden Fall eines ebenso wie Agnes quasi aus dem Nichts erscheinenden illegitimen Kindes mit dem stigmatisierenden Namen Johannes Niemand in Verbindung steht. Was den möglichen Holzfrevel angeht, so spekuliert die Buschen von vornherein auf die Nachsicht Stechlins, der sich so auch unbefangen nach dem»hübsche[n] Kind[]« erkundigen kann, das er bis dahin offenbar nie gesehen hat. Den Vornamen erfragt er nicht von sich aus und über die Lebensumstände ist er auffallend gut informiert. Agnes ist das uneheliche Kind Karlines, der Tochter der Buschen , die als Wäscherin(»Se plätt’t ümmer«) in Berlin arbeitet – und dies sehr wahrscheinlich in der großen ›Spindlerschen Wäscherei‹, die zuvor im 14. Kapitel(vgl. 14/167 f.) für die an diesem Fabrikkomplex entlangspazierende Ausflugsgesellschaft um Woldemar und die Geschwister v. Barby Anlass zu einer unergiebigen Unterhaltung über Nivellierungstendenzen, über Mode und Moderne, gewesen war. 23
Heft
(2022) 114
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