Heft 
(2022) 114
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Unordnung im Stechlin Amannn 25 Die Buschen kehrt selbst das Typische am Lebenswandel ihrer Tochter her­vor:»Alle so ne plätten ümmer«. Über Agnes abwesende Mutter wird in diesen Passagen und auch später zum Ende des Romans hin, also nach der Aufnahme des Kindes im Haus des schwerkranken Stechlin, nur in Andeu­tungen gesprochen, vor allem von der empörten Adelheid, Stechlins Halb­schwester, die der als»fidel« geltenden Karline unterstellt,»›doch wohl schon mehrere‹«(39/419 f.) zu haben, womit gleichermaßen Kinder wie Liebhaber gemeint sind. Es bleibt offen, ob die leicht abschätzige Bemer­kung der Buschen über die Arbeit ihrer Tochter auf Voraussetzungen oder auf die Folgen der zeitgenössisch explizit so auch genannten ›gefallenen Mädchen‹ bezogen ist. 24 Die in der realistisch orientierten Literatur spora­disch reflektierten Diffamierungen des Waschfrauengewerbes lassen je­denfalls beide Zuschreibungen zu. Die von Armut bedrohten Mütter finden sich auf der untersten Stufe der Bediensteten in einem Milieu wieder, das seit jeher für Fehltritte prädestiniert scheint: Das Waschen schmutziger Wäsche war mit der öffentlichen Ausbreitung von Intimitäten verbunden und begründete den Ruf schamloser Waschweiber, die sich geschwätzig und leicht bekleidet an ihren Arbeitsplätzen den vorbeiziehenden Herr­schaften präsentierten das einzige und nur äußerst vage aus dem Roman rekonstruierbare Begegnungsszenario mit einem Kindsvater. 25 Mit Spindlers Großbetrieb und Karlines unbekümmertem Großstadt­leben streift der Roman beiläufig die Transformationen traditioneller Dienst­leistungen in die nicht minder problematischen Verhältnisse moderner In­dustriearbeit. Für die im Roman nur ihrem Namen nach vertretene Karline bietet die Proletarisierung offenkundig die einzige Alternative zur perspek­tivlosen Existenz als ledige Mutter in einer scheinbar intakten ständischen Ordnung auf dem Lande. Agnes überlässt sie notgedrungen der proviso­rischen Obhut der wie aus der Zeit gefallenen Buschen, die mit den Anzei­chen von Verstörung des zarten und oft weinenden Enkelkindes nicht umzu­gehen vermag:»Uns is ook en gaudes Kind; sie weent gliks un is ümmer so patschlich mit ehre lütten Hänn. Sünne sinn ümmer so.« Der dialektkundige Stechlin müsste an diesem Punkt das Gespräch eigentlich auf die Nöte des Kindes lenken, die er ja durchaus registriert. Denn offenkundig sind es die ihm in dieser Begegnung vor Augen geführten haltlosen Lebensumstände, die ihn später dazu veranlassen, Agnes unter einem passenden Vorwand zu sich zu holen. Stattdessen bricht der an die diskrete Form der Causerien ge­wohnte Alte mit einer unpassenden Bemerkung diese erste Begegnung ab. Er überspielt die Hinweise auf Agnes labile Verfassung und nimmt in ihr eine Kindsfrau wahr, die wie ihre Mutter zum gefallenen Mädchen bestimmt zu sein scheint. Für unverfänglich hält Dubslav indes die direkte Frage nach einem mut­maßlichen Kindsvater und rückt sie in den Vordergrund. Über Karlines an­haltende Bemühungen um einen Kandidaten in ihrer Heimat am Stechlin -