Heft 
(2022) 114
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Vom Bild zur Bewegtheit, vom Fragment zum Flow  Igl 43 Fontanes nicht-lineares Verfahren des Sammelns, Schreibens und Ausar­beitens ist, wie man in seinen ›abgeschlossenen‹ Werken beobachten kann, in bemerkenswerter Weise darauf hin ausgerichtet, Text- und Erzählflüsse so zu komponieren, dass sie den Leser*innen einen ebenso fließenden Lek­türeprozess ermöglichen. Auf das Motiv des Flusses und das Konzept des Flows wird im Folgenden näher einzugehen sein. Die von Christine Hehle und Hanna Delf von Wolzogen im Auftrag des Fontane -Archivs herausgegebenen Fragmente ermöglichen nun einen de­taillierten Einblick in die Grundlagen von Fontanes kreativem Prozess als die eines kompilierenden Autors und»precursor to the modern remix ­artist« 7 . Den Hauptteil der Edition machen die Erzählfragmente aus, die zu dem»von Fontane in den späten 1870er- und frühen 1880er-Jahren planmä­ßig angelegten Arsenal gehören, das ihm seine Zukunft als Romancier ­sichern sollte.«(F I, XIII) Im vorliegenden Beitrag liegt das Augenmerk je­doch auf dem unter Impressionen und Essays rubrizierten Fragmente-Teil mit Textskizzen und kürzeren ausgearbeiteten Texten,»die sowohl essayisti­sche als auch narrative Ansätze aufweisen und überwiegend Impressionen und Reflexionen über das moderne Berlin und über das Schreiben sind.« (F I, XIII) Wie in den editorischen Vorbemerkungen erläutert, plante Fonta­ ne »den Großteil dieser Texte unter dem Titel Bilder und Plaudereien aus Ber­ lin zu publizieren[], als Pendant zu der 1894 veröffentlichten Sammlung Von vor und nach der Reise.«(F I, XXXVI) Die Mischung von zum Teil narrativ angelegten(Kurz-)Texten, zum Teil nur listenhaften Skizzen erscheint als besonders spannend mit Blick auf die Frage nach den spezifischen Gestaltungsprinzipien und Funktionsweisen der Elemente in Fontanes»Arsenal «. Wie sind die narrativen und essayisti­schen Textbausteine, fragmentarischen Dialog- und Wahrnehmungsse­quenzen, die Textentwürfe im Charakter von ›Miniatur-Storyboards‹(siehe etwa Das Frigidarium, F I, 404) etc. angelegt, um im kreativen Prozess des Kompilierens und Ausarbeitens zu funktionieren? Auf dem Weg zu einer möglichen Antwort hierauf sollen im Folgenden zwei Kompositions- bzw. Wirkungsprinzipien als Leitlinien meiner Beobachtungen und Überlegun­gen dienen, die ich»Vom Bild zur Bewegtheit« und»Vom Fragment zum Flow« nennen möchte. Gemäß des Essay-Charakters meines Beitrags, der in einer ersten Fassung im Rahmen der Forschungswerkstatt»Fontanes Fragmente«(TFA, 10. Juni 2022) präsentiert wurde, ist das Ziel dabei nicht eine umfängliche Textanalyse oder theoretisch-methodische Diskussion. Vielmehr geht es mir um die Sondierung einer möglichen Untersuchungs­perspektive, die die in sich heterogenen Fragmente einerseits in ihrem Grundcharakter als komprimierte Materialsammlung ernst nimmt und die andererseits einen genaueren Blick auf das rezeptionsästhetische Wir­kungspotential ermöglicht, das selbst in Fontanes skizzenhaftesten Text-