Vom Bild zur Bewegtheit, vom Fragment zum Flow Igl 49 ment Auf dem Flachdach oder Mir gegenüber(F I, 402–403) aus einer kognitiv-literaturwissenschaftlichen Perspektive etwas näher beleuchten. Zunächst ein paar kurze Anmerkungen zum theoretischen Hintergrund meiner Überlegungen: Innerhalb des breiteren Forschungsfeldes kognitiver Literaturwissenschaft 26 lässt sich in jüngerer Zeit ein Fokus auf sogenannte ›4E cognition‹-Modelle beobachten:»that is, approaches that suppose our thinking to be embodied, embedded in physical contexts, extended into the material world, and enacted rather than represented.« 27 Im Sinne der grundlegenden Verabschiedung dualistischer Geist-Körper-Modelle unterstreichen entsprechende kognitiv-literaturwissenschaftliche Ansätze, dass es sich beim(literarischen) Lesen um eine komplexe, Geist und Körper gleichermaßen involvierende Tätigkeit und Form des Erlebens handelt. Lesen als Tätigkeit und Erleben lässt sich aus dieser Perspektive als Szenario der körperlich-sensoriellen Involvierung in doppelter Hinsicht verstehen, wie Alexa Weik von Mossner betont:»not only in that we need our senses in order to be able to perceive things, but also in that our bodies act as sounding boards for our mental simulations of storyworlds and of characters’ percep tions , emotions, and actions within those virtual worlds.« 28 Kukkonen hat nun in ihren kognitiv-literaturwissenschaftlichen Arbeiten zu den literarischen Strategien der multisensorischen Involvierung von Leser*innen – d.h. dem Zusammenspiel der an den Körper rückgebundenen Kognition und den ebenfalls durch Körperlichkeit ›formatierten‹ sprachlichen Auslösereizen – den Begriff des designed sensory flow geprägt. Was ist darunter genau zu verstehen? Der Begriff des sensory flow, wie ihn der Philosoph Andy Clark in seiner Forschung zur Frage»how creatures like us get to know the world and to act in it« 29 ansetzt, beschreibt zunächst einmal den grundlegenden, im Wachzustand nicht abreißenden Strom sensorieller Stimuli und Empfindungen, dem wir als Menschen ausgesetzt sind und mit dessen Verarbeitung unser ›körpergebundener‹ oder ›verkörperter‹ Geist ( embodied mind) permanent beschäftigt ist. Dieser Verarbeitungsprozess läuft nach dem Grundprinzip der Vorhersage ab, wie Clark ausführt: So interpretiert unser Körper-Geist Stimuli nicht erst retrospektiv, sondern auf der Basis ständiger Voraussagen,»trying to guess the incoming sensory stimulations as they arrive, using what you know about the world. Failed guesses generate ›prediction errors‹ that are then used to recruit new and better guesses, or to inform slower processes of learning and plasticity.« 30 Hieran knüpft nun Kukkonen mit ihrem Konzept des designed sensory flow als Phänomen der sprachlich-textuellen Gestaltung sinnlicher Eindrücke und narrativ funktionalisierter Irritationsmomente an. So fällt im Szenario des(literarischen) Lesens der übliche Fluss an Sinneseindrücken auf Seiten der Leser*in nicht einfach weg, wie Kukkonen argumentiert, sondern wird durch einen gestalteten Sinnesfluss ersetzt:»a carefully crafted sequence, a designed sensory flow that replaces the sensory flow of
Heft
(2022) 114
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten