Heft 
(2022) 114
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60 Fontane Blätter 114 Dossier: Fontanes Fragmente Edition erstmalig zugänglich gemacht wurde. Der Titelheld sollte darin zu­gleich als Erzähler fungieren:»Nun alles so einrichten, daß Fritz Mollhausen, der um 1870 ein alter Herr ist die Geschichte selbst erzählt. Veranlassung vielleicht eine Situation, zu die der 70 er Krieg mit sich bringt«(F I, 335). ­Deutlich wird in den Aufzeichnungen eine für die homodiegetische Erinne­rungserzählung des 19.  Jahrhunderts typische enge Verklammerung der Ge­genwart des erzählenden Ichs in diesem Fall bestimmt durch den Deutsch -Französischen Krieg von 1870/71 mit der erlebten Vergangenheit, die in der Zeit der Befreiungskriege angesiedelt ist. Fontane skizziert kurz die Handlung, die ihren Höhepunkt in der Verwundung des Helden auf dem Schlachtfeld hat, und übergibt dabei bereits dem homodiegetischen Erzäh­ler das Wort:»Dann die Schlacht. Schwer verwundet. Der Oberst schreibt: ›holt ihn euch. Sie holen ihn sich. Alles war vergessen. Ich genas. Ich erhielt das Geschäft. Aber es waren schlimme Stunden jene Nacht und ich mag keinem rathen, ein Gleiches zu thun. Es kommt nicht immer ein Fritz Moll­hausen heraus«(F I, 335). In den Händen eines homodiegetischen Erzählers sollte auch die»Cha­rakterskizze« Onkel Ehm liegen. Das einzige dazu vorhandene Fragment setzt gleich mit der Erzählerrede ein:»Onkel Ehm wurde heut begraben. Man soll das Eisen schmieden, so lang es warm ist. Und so schreib ich denn ein Wort von Onkel Ehm«(F I, 337). Der Neffe ist es, der von dem durch kleinere und größere Schicksalsschläge bewegten Leben seines Ver­wandten berichtet, wobei auffällt, dass die persönliche Beziehung zwischen den beiden Figuren nicht näher bestimmt wird. Anders als bei der Ge­schichte von Fritz Mollhausen, in der ein persönliches Erlebnis des Erzäh­lers im Mittelpunkt gestanden hätte und die Verknüpfung zweier Zeitebe­nen ein zentraler Gesichtspunkt geworden wäre, erschließt sich in diesem Entwurf nicht, worin der eigentliche Gewinn dieser Erzählweise im Ver­gleich zu einem heterodiegetischen Erzähler liegen könnte. Nicht von unge­fähr zeichnet sich im Verlauf der Handlungsskizze die Tendenz ab, dass der ohnehin nur als Beobachter und Außenstehender agierende homodiegeti­sche Erzähler von einer heterodiegetischen Stimme abgelöst wird. Von dem Tag, an dem die Frau des Onkels beerdigt wurde, berichtet zunächst noch der Neffe:»Onkel Ehm war außer sich. Ich sah ihn noch an dem Tage des Begräbnisses. Alles war still, nur der alte Mann schluchzte. Und dann wurde sie zur Ruhe getragen«(F I, 339). Gleich darauf aber schiebt sich ein anderes Ich, das des Autors, in die Darstellung ein:»Aber hier muß ich noch etwas einschalten und meine Helden wechseln«; in den folgenden Zeilen scheint dann eher ein heterodiegetischer als ein homodiegetischer Erzäh­ler zu berichten:»Es war am Pfingstsonnabend gewesen. Und am Abend desselben Tages saß der Geistliche, der die Grabrede gehalten hatte, und schrieb«(ebd.). Zumindest in diesem Fragment zeigt sich nicht, dass Fon­ tane aus dem Erzählen mit einem persönlich involvierten Erzähler einen