Heft 
(2022) 114
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62 Fontane Blätter 114 Dossier: Fontanes Fragmente beiden Fällen gibt es sogar erste Ansätze einer ausgearbeiteten Briefkorre­spondenz. Obwohl der Umfang dieser Pläne also im Verhältnis zur Gesamt­menge der Fragmente relativ gering ist, bleibt es ein bemerkenswerter Um­stand, dass Fontane häufiger auf diese Darstellungsform zurückzugreifen plant als auf einen ›traditionellen‹ homodiegetischen Erzähler. Vollkommen überraschend ist Fontanes Neigung zum Brieferzählen freilich nicht. Nicht nur hat er selbst ein bemerkenswertes Briefœuvre hin­terlassen; dem Medium kommt auch in vielen seiner Romane eine besonde­re Bedeutung zu sei es in der Diegese wie in Effi Briest oder als Teil des Erzähldiskurses wie beispielsweise im Schach von Wuthenow . 13 Eine Erzäh­lung, die sich ausschließlich dieser Form bedient, stellt freilich noch einmal eine ganz andere Herausforderung dar. Auf der Suche nach gemeinsamen Motiven, die diesen Projekten zugrunde liegen, stellt man rasch fest, dass es nicht die Absicht ist, den Brief als Medium von Innerlichkeit und empfind­samer Selbstaussprache zu nutzen. Was die Entwicklung der Erzählform im bürgerlich-empfindsamen Zeitalter maßgeblich vorantrieb, spielt bei Fontane keine große Rolle mehr. Keiner der Stoffpläne fokussiert primär eine einzige Figur oder einen innerpsychischen Konflikt. Nur bei einem einzigen Plan, der von der Lebensgeschichte seiner jüngeren Schwester Eli­se inspiriert wurde( Gabriele Chrysander), erwägt Fontane eine monologi­sche Form(»In Briefen oder Tagebuchblättern«, F I, 286), wobei bezeich­nend ist, dass in den knappen Bemerkungen zu diesem Projekt vor allem der Ehemann der Briefschreiberin charakterisiert wird und nicht sie selbst. Die psychologische Selbstexploration einer Figur hat Fontane offenbar nicht primär im Blick. Sein Interesse an der Erzählform dürfte eher mit der ihr eigenen Dialogizität 14 und mit seiner Neigung zu kontrastiven Figuren­konstellationen zusammenhängen. Ehen werden im Himmel geschlossen beispielsweise sollte aus dem Briefwechsel zweier junger Frauen adeliger Herkunft bestehen, deren Selbstverständnis nicht auf der Höhe ihrer tat­sächlichen gesellschaftlichen Stellung ist und die diese Diskrepanz jeweils am Schicksal der anderen vorgeführt bekommen. Während die eine»im­mer die große consulare Weltcarrière[] im Auge« hat, aber letztlich»ei­nen Militär=Effektenmann« heiratet, spricht die andere stets von»Kirche, Adel, General-Superintendent« und wird am Ende die Frau eines »Papiermüller[s]«(F I, 318). Offensichtlich lag für Fontane der Reiz darin, über den Wechsel der Briefe und der Perspektiven die Befangenheit der Figuren in ihrem Selbstbild ohne größeren erzählerischen Aufwand zur Darstellung bringen zu können. Eine ähnlich korrektive Funktion sollte auch der Briefpartner der jungen Titelheldin aus Eleonore innehaben, wenngleich die Konstellation asymmetrischer gewesen wäre: Ein Pastor und väterlicher Freund als Gegenpart zu der jungen Eleonore, die aus vor­nehmer, aber verarmter Familie stammt und trotz aller Bekundungen ihrer Religiosität weltliche Eitelkeit und ständischen Stolz nie ganz überwinden