Heft 
(2022) 114
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Experimente mit der Erzählerfigur  Grüne 65 Männer in die rechten Stellen zu bringen, das ist nicht blos eine Aufga­be, das ist|für den ders kann, eine Pflicht. Er. Cesarine, Du richtest Dein Auge zu sehr aufs Allgemeine. Wir sind nicht reich und es läg uns ob, uns mehr um unser eigen Wohl als um das von Staat und Gesellschaft zu kümmern. Sie. Quäle mich nicht mit dieser Gesinnungskleinheit. Ich mag das nicht ertragen, das ist Bauernweisheit, immer nur das Nächste.. Er wollt unterbrechen, sie ließ es aber nicht zu und sagte dann in einem freundlicheren Tone mit einem Ausdruck von Vertraulichkeit und Schel­merei:»Ich begreife Dich nicht, Storch. Ich dächte doch Du müßtest mein Programm kennen.(F I, 204) Zu Beginn der Passage spricht der Autor über seinen Entwurf, am Ende spricht ein Erzähler über das Geschehen in der erzählten Welt. Den Über­gang bildet eine Dialogpassage zwischen den beiden Hauptfiguren, wobei anfangs der Sprecher wie im Nebentext des Dramas angegeben wird, wäh­rend in dem nun vollständig narrativisierten letzten Absatz die direkte Rede mit einer traditionellen Inquit-Formel eingeleitet wird. Das Gespräch, so könnte man sagen, hat für Fontanes Erzählen sehr häufig eine geradezu konstitutive Bedeutung. Figuren redend in Bezug zueinander zu setzen, ist ein wesentliches Antriebsmoment seiner epischen Vorstellungskraft. Wie bereits betont wurde, motiviert das Bemühen um Dialogizität auch sein Interesse für die Brieferzählung. Doch trotz der ihr inhärenten dialo­gischen Struktur sind dem dargestellten Gespräch darin gewisse Grenzen gesetzt; das betrifft weniger die ›Redevielfalt‹, die durch Auffächerung ­verschiedener Briefpartner erreicht werden kann, als die Dynamik der Ge­sprächsentwicklung. Diese Dynamik entsteht aus den Bedingungen einer konkreten Gesprächssituation und der Resonanz, die das Gesagte auf die beteiligten Gesprächspartner hat, und sie bietet Fontane die Chance, die charakterlichen und ideologischen Dispositionen seiner Figuren, die Facet­ten ihrer Persönlichkeit, in immer neuen, variierenden Spiegelungen zeigen zu können. Dafür liefert das oben zitierte Beispiel aus dem Storch von Ade­bar das beste Anschauungsmaterial: Fontane situiert sein Gespräch in ei­nem spezifischen Kontext, wenn er anfangs auf die verschiedentlichen Un­terbrechungen durch die Geräusche im Park verweist. Die inhaltlichen Positionen, die im Gespräch zum Ausdruck kommen sollen, einschließlich des ›anti-jüdischen Elements‹ seitens der ›Störchin‹, werden ebenfalls von Beginn an festgelegt. Das Gespräch bewegt sich also nicht völlig ins Offene, und doch lässt die Entwicklung der Redebeiträge genug Raum für Nuancie­rungen, Ab­stufungen, kleine unerwartete Wendungen. Wenn die ›Störchin‹ zum Ende ihren Tonfall ändert und selbstironisch auf ihr eigenes ›Pro­gramm‹ verweist, ist dies eine ebensolche Wendung, die aus der situations­bedingten Adressierung des Gegenüber hervorgeht und das Gespräch le-