Heft 
(2022) 114
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Experimente mit der Erzählerfigur  Grüne 67 die Zitate meist in ein Spannungsverhältnis zum Autor- oder Erzählertext treten. An das oben zitierte Beispiel zum Menschenfresser schließen sich beispielsweise einige Zeilen von Erzählerrede an, aus denen sich die ironi­sche Distanz des Berichtenden zur Figur erschließen lässt:»Richtiger: er war für Umwerthungen, wobei alle Schubbejacks als herrliche Menschen und alle Prachtgestalten als zweifelhaft hingestellt wurden. Der erste Na­ poleon war ein Friedensfürst und Fr: W. III. ein Schlauberger. Von Fr. W. I. behauptete er, er sei ein größerer Philosoph und Künstler gewesen als sein Sohn«(F I, 256). In der Brieferzählung ist diese Form der Dynamisierung, die aus der Verknüpfung von Figurenzitaten und Erzählerrede entsteht und so auch blockartigen narratorialen Charakterisierungen eine dialogische Struktur verleihen kann, so leicht nicht möglich. Es sind gewissermaßen größere und gröbere Blöcke an Figurenrede, die hier in der Abfolge der Briefe gegeneinandergestellt werden. Freilich ist auch Fontanes Entwürfen zu Brieferzählungen die Absicht abzulesen, die sprachlichen Routinen der Fi­guren zur Geltung zu bringen. Die kontrastive Figurenkonstellation in Ehen werden im Himmel geschlossen hätte sich dementsprechend in einem kontrastiven Schreibstil niedergeschlagen:» Der Witz des Ganzen läuft nun darauf hinaus, daß die citatenreiche die mit allen Sprachen kokettirende Se­raphine, beständig von ›international‹ spricht, während Charlotte ebenso unentwegt von ›trivial und»poetisch‹ orakelt«(F I, 318). Dialogische Dyna­mik ist auch auf diesem Weg zu erreichen, im Vergleich zur konkreten Ge­sprächssituation oder zur spannungsreichen Verknüpfung von Figurenzi­tat und Erzählerstimme bleibt sie allerdings gröber und schwerfälliger. In dem Moment, in dem die Figuren allein das Erzählen übernehmen, droht die Verhaftung in den sprachlichen Routinen in erzählerische Monotonie umzuschlagen. Die Briefe würden ›beständig‹ und ›unentwegt‹ die kleine­ren und größeren Befangenheiten der Figuren ins Licht setzen. Das dialogi­sche Prinzip des Briefwechsels könnte diese Borniertheit der Erzählerfigu­ren nur bedingt ausgleichen. Integriert in eine umfassende narrative Struktur ist der Brief für Fonta­ne ein brauchbares und oft genutztes Mittel zur Figurencharakterisierung. Doch kann er sich nicht dazu entschließen, das Wort ganz an eine oder mehrere Figuren abzutreten. Zu wichtig für sein Erzählen ist die Möglich­keit, einen Standpunkt ›hinter‹ den Figuren einnehmen zu können, um ihr Zusammentreffen in immer neuen Konstellationen zu arrangieren und über die Präsentation der charakteristischen Muster ihres Verhaltens, Denkens und Sprechens die Erzählung am Laufen zu halten. Wahrscheinlich liegt hierin der entscheidende Grund, warum Fontane das homodiegetische ­Erzählen insgesamt, ob nun mit einem klassischen Ich-Erzähler oder mit verschiedenen Briefschreibern, nicht zur Entfaltung bringen kann. Das Gleichgewicht zwischen der(relativen) charakterlichen und ideologischen