»Was wird er damit machen?« Aust 75 Nizza und Berlin auslebt, lässt sich nicht ohne Weiteres fortsetzen. Und so wechselt die namentliche Fürstin – erneut abrupt – ins Schauspielfach, lernt bei Siegwart Friedmann insbesondere jene Rollen auf der Bühne zu spielen, die sie von Kindheit an beherrscht, heiratet sogar ihren Lehrer, tritt an seiner Seite u. a. in Wien auf 19 und gibt Gastspiele an vielen Provinzbühnen. Dann trennt sie sich einvernehmlich von Friedmann, reist in illustrer Gesellschaft nach St. Petersburg , wo sie einem früheren Bekannten, Serge von Schewitsch, erneut begegnet. Mit ihm verlässt sie schließlich Europa , um in den USA , wo sie vor einem»Dorfrichter« die Ehe schließen, ein neues Leben zu beginnen, er als sozialistisch engagierter Journalist, sie zunächst weiterhin als Schauspielerin und zusätzlich sogar als Theaterkritikerin. Auch diese Lebensphase ist in Fontanes»Dönniges-Stoff« inbegriffen. Alles Weitere jedoch hat er wohl nicht mehr wahrgenommen bzw. in seinem Plan nicht vorgesehen: Die Wendung zur Romanschriftstellerin ( Gräfin Vera, 1882), das kurz vor dem Examen abgebrochene Medizinstudium, die Bekehrung zur theosophischen Lebenshaltung(Begegnung mit Helena Petrowna Blawatzki), die gemeinsame Rückkehr nach Europa und die »weise alte Frau«, aber»jugendlicher als je«, in der»wilden Boheme« Mün chens ; 20 und natürlich mussten ihm die wachsenden finanziellen Schwierigkeiten verborgen bleiben, die ihren Ehemann scheitern lassen und die kaum noch»wilde«, wohl aber»abgeklärte Helene « 21 1911 in den Freitod treiben. Vieles an diesem Lebensweg der Helene von Dönniges mutet schelmenhaft an: zwar nicht ihre Herkunft von ganz unten, wohl aber der prägende Zusammenprall mit den Härten des Lebens, der wiederholte Berufswechsel, die episodischen Bewegungen durch wechselnde Räume und Schichten, das brillante Bühnenspiel auf dem gesellschaftlichen Parkett und nicht zuletzt die Lebensbeichten mitsamt ihren Unzuverlässigkeiten(unstimmige Daten, Lücken, Betonung ›bedeutender‹ Begegnungen, untergeschobene Motive, Rechtfertigungsdrang). 22 Ob dieses ›Modell‹ dem» Frl. v. D. « noch geglichen hätte? Unschwer also ist zu erkennen, wer die»Heldin« des Projekts ist, die sogar» Josephine « heißen sollte nach einem der Vornamen der Helene von Dön niges . Dass und warum sie als» L’Imperatrice « gelten kann, ergibt sich nicht nur aus der Assoziation mit» Josephine «, der französischen Kaiserin und ersten Ehefrau Napoleons (s. Stellenkommentar, F II, 287), sondern auch aus der überlieferten Selbstcharakteristik als»Königin aller Tollheiten«. 23 Insbesondere aber erfasst der Titel die Glücks- und Zukunftsphantasien des ›skandalösen‹ Liebespaares Helene und Ferdinand, in denen Helene als»die erste Frau Deutschlands « 24 , als»goldlockige Präsidentin« der erträumten»Repu blik « 25 und beide als»königliches Paar« 26 erscheinen wollen. Nicht minder schillernd wirkt die andere, gegensätzliche Titulatur:»Die rothe Maus«, in der Verbindung mit» L’Imperatrice « ein geradezu barocker Umschwungs-Titel mit Auf und Ab, Glück und Fall einer ebenso bedeuten-
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(2022) 114
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