Heft 
(2022) 114
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78 Fontane Blätter 114 Dossier: Fontanes Fragmente Fontanes ›Schnapphahnski‹ Der 4. Punkt im Szenarium»Lichnowski etc und die Bockenheimer Wirth­schaft« erfasst mit zwei Reizwörtern den intendierten historisch politischen Horizont. Gleich einer Szenenanweisung löst er ein, was der Plan vorge­schrieben hat und die Ortsbestimmung»Baden« andeutete: die Verlegung des Dönniges-Stoffes» in das Jahr 49 und nach Frankfurt a. M.« Denn­»[d]azu paßt der Stoff sowohl der Zeit wie dem Orte nach«. 38 Felix Fürst Lichnowsky(1814–1848), spektakulärer Abenteurer und Lieb­haber der Vormärzzeit, redegewandter und einflussnehmender Abgeordne­ter der Frankfurter Nationalversammlung und intelligenter Vertreter ihres rechten Flügels wird von einem Mob aufgebrachter Leute, wie sie sich in der »Bockenheimer Wirthschaft« treffen und gegenseitig aufheizen, ermordet. 39 Der Vorfall hat juristische und mediale Nachwirkungen, die bis in den Rup­piner Bilderbogen hineinreichen. 40 Der Fall, schrecklich wie er ist, wird zur Ausübung weiterer Schreckenstaten benutzt. Lichnowsky steigt auf zum po­litischen Märtyrer und zur literarischen Karikatur. Auch hier wie schon im Fall des 17-jährigen» Frl. v. D. « kommt Heinrich Heine indirekt zur Geltung, hat dieser doch Lichnowsky als»Schnapphahnski« in Atta Troll ›verewigt‹. Eine Stelle in einem Brief an Lepel 41 belegt, dass Fontane als Zeitgenosse der 48er-Revolution die»Niedermetzelung Lichnowskys« nicht nur wahrge­nommen hat, sondern auch geneigt war, sie mit den nicht minder mörderi­schen»Seitenstücke[n]« der»Reaktionsbestrebungen der Hofpartei« und ihrer Armee aufzurechnen. Aber im anvisierten Jahre»49« lebte Lichnows­ ky nicht mehr, und es ist fraglich, zu welchen Erzählzwecken Fontane diese später vielleicht sogar als ›hübsch‹ empfundene Figur 42 verwenden wollte. Es könnte auffallen, dass Felix Fürst Lichnowsky und Ferdinand Lassalle­ bei aller tiefgreifenden Gegensätzlichkeit(und über die bloßen Initialen hin­aus) doch gemeinsame Züge haben: Beide sind politisch aktiv und fallen durch ihr rhetorisches Talent auf; beider vielversprechende Karriere endet vorzeitig gewaltsam, beide gelten plakativ als schöne Männer und berüch­tigte Frauenhelden; beide lassen sich durch eine Herzogin fördern, was gern missbilligt wird, beide haben schriftstellerische Ambitionen, beide stehen im Ruf von»Komödianten« 43 , wenn auch dasselbe Wort etwas anderes mei­nen sollte. Lichnowsky lässt sich als ›Vorlage‹ wohl kaum mit Friedrich Au­ gust Ludwig von der Marwitz vergleichen. 44 Sperriges Material sind sie bei­de. Dass sie bis zur Unkenntlichkeit ›geschliffen‹ und zu einem fiktionalen Profil eigner Art umgewandelt werden können, beweist das literarische Schicksal des Älteren. Zur Transponierung nach»Baden« und als Stütze für die ›Stoff-Passung‹ könnte der Umstand beigetragen haben, dass die emigrierte Helene in den USA nicht nur oberflächlichen Kontakt mit den»Achtundvierzigern« auf­nahm, sondern auch Friedrich Hecker begegnete.»Wir traten uns gegen-