80 Fontane Blätter 114 Dossier: Fontanes Fragmente im Victoria-Theater(als Baronin v. Strahl[?] in Hugo Müllers Diplomaten der alten Schule)»brauste ein Beifallssturm durch das übervolle Haus – der nicht enden wollte: ich hatte mein Berliner Publikum für alle Zeiten gewonnen«. 52 Fontane wird nicht unbedingt dazu gehört haben, nahm ihn doch in dieser Zeit sein neues Amt in der Akademie ganz anders in Anspruch. Helenes ›Fach‹, das sie offenbar virtuos beherrschte und für deren Gestaltung sie wiederholt gelobt wurde, war die ›Salondame‹ im modernen Sittenstück, eine Figur, die sie ohnehin außerhalb der Bühne zu leben verstand. Clotilde aus Sardous Fernande zählt zu ihren»Lieblingsrollen«. 53 In Wien wird sie als Tänzerin Stella(aus Sardous Andrea) wegen ihrer»Gewandtheit einer Ballerina vom Fach« gelobt. 54 Auch Berichte über ihre Auftritte in New York heben»die überzeugende Wahrheit ihrer Darstellung, sowie die geistvollen Intentionen der Künstlerin rühmend hervor«. 55 Und stets fällt die»ebenso geschmackvolle als überraschend reiche Auswahl der Toiletten« auf. 56 Über Helenes erfolgreiche»Schauspiel-Epoche« in den USA hätte Fontane sich im autobiographischen Reisebericht informieren können, der unter dem Pseudonym Willy Westen 1882 veröffentlicht wurde. Vielleicht kann Paul Lindaus Titelheldin Maria Verrina sowohl als Abbild als auch Modell von Helenes Leben gelten(ob sie Fontanes Interesse am Original gesteigert, gedämpft oder überhaupt nicht berührt hat, mag ebenfalls fraglich bleiben): Nach anfänglichem Versuch im tragischen Fach reüssiert sie als Salondame im modernen Sittenstück und lebt diese hybride Rolle als ›Star mit Vergangenheit‹ aus. Schicksalhaft verstrickt und zugleich sich komödiantisch freisprechend bzw. schelmisch ›losschreibend‹, erscheint sie als modernes Elementarwesen im Spiegelkabinett der teils guten, teils trotzigen Gesellschaft. Es liegt nahe, diese stoffliche Vorgabe mit Bertha Pappenheim ( Allerlei Glück, F I, 120–123), mehr noch mit Franziska aus Graf Petöfy zu verbinden. Selbst das Motiv, den Beruf um der ehelichen Verbindung willen aufzugeben, könnte einen Vergleich nahelegen. Aber die biographischen Voraussetzungen unterscheiden sich und lassen keine Aufschlüsse über das zu, was Fontane aus diesem Punkt seiner Planung zu machen gedachte. Hält man sich an den Titel des Projekts, so stünde das Motiv des ebenso rapiden wie virtuosen Rollenwechsels im Mittelpunkt; vielleicht sollte es auch um jene schauspielerische Fähigkeit gehen, die später Mathilde Möhring an den Tag legen wird; freilich gelangte auch dieses ›Konzept‹ zu Lebzeiten seines Schöpfers nicht an die Öffentlichkeit.
Heft
(2022) 114
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