140 Fontane Blätter 114 Freie Formen klar der schrillen Polemik die Spitze zu brechen; so in ihrer Abhandlung über Intertextualität als Zeitkommentar(1998), einem Aufsatz zu Fontane , Gustav Freytag und Thomas Mann , in dem sie am Ende(was in unserer Disziplin ja nur höchst selten vorkommt) aber auch eine eigene, ältere Studie über den Stechlin (die sie etliche Jahre früher, 1979, in der Festschrift für Charlotte Jolles publiziert hat) selbstkritisch unter die Lupe nimmt. – » Sicherheit is nich«; auch Fontanes berühmten Brief an Emilie vom 28. Mai 1870 hat sich Eda Sagarra offensichtlich in ihr Stammbuch geschrieben. Fontane ist und bleibt nicht zuletzt deshalb ihr Gradmesser. In einem Aufsatz über skurrile Bildergeschichten von Wilhelm Busch im Kontext der antikatholischen und antijüdischen Propaganda im Kaiserreich, in einer mustergültig gründlichen Untersuchung, die Eda Sagarra in der Festschrift für Viktor Žmega(1999) publiziert hat 9 , kommt sie nicht zufällig immer wieder auf die Maßstäbe zurück, die aus ihrer Sicht gerade Fontane gesetzt hat – wie kein anderer Autor seiner Ära. Die gute alte Zeit.» Unvermeidliches?« In seiner Plauderei über Modernes Reisen liefert Fontane eines der frühesten Zeugnisse der Kritik des Massentourismus . Er beobachtet, wie sich Wirte, Mietskutscher und Reiseleiter darauf einstellen und konstatiert trocken:» Vielfach reine Wegelagerei.« 10 Die gute alte Zeit entdeckt er nur mehr in den englischen Romanen um und nach 1800, konkret auch in den Gestalten von Walter Scott : Es gab nichts Liebenswürdigeres als solchen englischen Landlord, der in heiterer Würde seine Gäste auf dem Vorflur begrüßte und mit der Miene eines fürstlichen Menschenfreundes seine Weisungen gab. Er vertrat jeden Augenblick die Ehre seines Standes. Er war nicht dazu da, um in den drei Reisemonaten reich zu werden, still und allmählich sah er sein Vermögen wachsen und gab dem Sohne ein Eigentum, das er selbst einst vom Vater empfangen hatte. Er waltete seines Amts aus gutem Herzen und guter Gewohnheit. Er war wie ein Patriarch; sein Gasthaus eine Zufluchtsstätte, ein Hospiz. 11 Es ist selbstverständlich, dass Fontane nach dieser überdrehten Eloge nicht umhinkann, sich selber in die Parade zu fahren. Liebenswürdiges ist ihm denn doch nicht nur in alten Büchern begegnet. – Aber Liebenswürdigeres als die Wissenschaftspolitikerin Eda Sagarra , die in aller Welt höchst geschätzte Gutachterin, die streitbare Verfechterin des Gedankens, dass die europäischen Universitäten auch weiterhin als Bildungs-, Reflexions- und Einmischungsinstanzen und nicht bloß als Ausbildungsinstitutionen bestehen sollten, Liebenswürdigeres als diese ausgewiesene Expertin in allen Bereichen der Literatur und der Literaturwissenschaft, die, noch einmal Fontane zu zitieren, jeden Augenblick die Ehre ihres Standes vertritt, ist in der Tat nicht vorstellbar. In dem hier schon wiederholt erwähnten Buch über Tradition und Revolution wechselt Eda Sagarra einmal, ein einziges Mal ganz unvermittelt aus
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(2022) 114
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