Heft 
(2022) 114
Einzelbild herunterladen

164 Fontane Blätter 114 Rezensionen ­Peter Demetz (geb. 1922) geprägt, der sie in eine nicht besonders wertvolle »Sondergruppe« innerhalb des Fontane schen Werkes verwies. Auch der Fontanekenner Hans-Heinrich Reuter (1923–1978) sprach ihr den literari­schen Wert ab. Demetz und andere Kritiker bemängelten eine»Kunstspra­che, die Altertümlichkeit suggerieren sollte«, etwa wenn Fontane unflektier­te Adjektive(»mein süß Gretel«) oder Apokope(»Beicht « statt»Beichte«) in seinen Text streute. Die oft gestellte Frage nach der Schuld der historischen Margarete Min­den am Brand von Tangermünde wird auch in der literarischen Fiktion of­fengelassen. Dazu bemerkt die Autorin:»Fontane literarisiert die Geschichte um Grete Minde nicht historisch genau, stellt aber hinreichend Bezüge zu zahlreichen historischen Ereignissen her, die im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert waren. Narrativ macht Fontane Gretes Handeln und Verant­wortung für den Brand als Möglichkeit begreifbar, ohne dass die Novelle einen Rechtsfall thematisiert, denn eine Brandstiftung wird nicht geschil­dert.«(S. 709) In einem Gespräch mit dem Historiker und Autor Robert Rauh erklärte Friederike Wein, dass sie mit ihrer Forschungsarbeit die Absicht verband, »herauszufinden, was tatsächlich passiert ist.« Auf die Frage, ob sie Marga­rete Minden am Ende für schuldig halte, sagte sie:»Das überlasse ich dem Leser. Ich möchte keine Meinung transportieren.«(Robert Rauh : Fontanes Frauen. Fünf Orte fünf Schicksale fünf Geschichten. Mit einem Nachwort von Gotthard Erler. Berlin 2018, S. 152.) Friederike Wein hat mit ihrem Editionsprojekt Grundlagenforschung betrieben. Einschlägige rechtshistorische Untersuchungen können zukünf­tig auf vollständig edierte Dokumente zurückgreifen. Nicht zu unterschät­zen ist der Wert des Buches für neue stadt- und regionalgeschichtliche sowie kulturhistorische Darstellungen. Linguisten finden umfangreiches Quellen­material für Studien zur deutschen Sprache des 17. Jahrhunderts. Den Fon­ tane -Freunden bietet das Buch viele Einblicke in den realen historischen Hintergrund der Novelle Grete Minde . Ausführungen zu ihrer Struktur, ih­rer Entstehung und Rezeption sollten zur weiteren Beschäftigung mit die­sem Werk anregen. Leserinnen und Lesern des vorliegenden Bandes sei empfohlen, die Lek­türe mit dem beschreibenden dritten T eil zu beginnen, der in die vielschich­tige Problematik einführt und dabei hilft, sich zu den Originaldokumenten gleichsam vorzuarbeiten. Ein eigenes Personenverzeichnis wäre hier noch wünschenswert gewesen. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturver­zeichnis gehört natürlich zur Grundausstattung. Dem von der Autorin formulierten Fazit, demzufolge die Edition und Kontextualisierung der Prozessakten künftig ein eigenes Mosaikstück in der Überlieferung und Kulturgeschichte zu Grete Minde bilden werden(vgl. S. 720), ist unbedingt zuzustimmen. Die auf langjährigen Forschungen be-